1) Betriebswirt auf neuen Wegen: Auslöser?

wortstark: Herr Harrach: Sie haben im Jahr 2007 die Wertegemeinschaft „KarmaKonsum“ gegründet, gelten als Vordenker auf dem Gebiet der nachhaltigen und gesunden Lebensstile „LOHAS“ (Lifestyles of Health and Sustainability) und führen eine Beratungsagentur rund um das Thema Nachhaltigkeit. Wie kamen Sie dazu? Gab es ein Schlüsselerlebnis oder war das schon in Ihrer Biographie angelegt?

Christoph Harrach: Nein, eher im Gegenteil: Meine Biographie sah so aus, dass ich ein ganz konventionelles Elternhaus hatte und als Kind der 80er Jahre in der Markenwelt groß geworden bin. Ich war vielleicht ein bisschen Querdenker, aber hatte weder politisch noch spirituell noch ökologisch irgendwelche Ambitionen, irgendwas zum Heil der Welt beizutragen sondern mir ging es eher um schöne Klamotten… (lacht) Ich habe klassisch BWL studiert.

wortstark: Und dann?

Christoph Harrach: Habe ich aus gesundheitlichen Gründen mit Yoga angefangen. Durch das Yoga hat sich meine Einstellung zur Welt geändert. Als ich dann meine erste Stelle beim Karstadt-Quelle Konzern im Versandhandel antrat, begann ich zeitgleich berufsbegleitend eine zweijährige Ausbildung zum Yoga-Lehrer. Und je mehr ich ins Yoga eingestiegen bin, desto mehr bin ich aus der Welt des Konsumdenkens und Profits ausgestiegen. Nach einem dreimonatigen Indienaufenthalt habe ich dann meinen Job gekündigt und wollte mich mit einem Yoga-Shop selbständig machen, um meine Yoga-Passion und die Versandhandelskompetenz zusammenzubringen.

wortstark: … Sie sind doch jetzt selbständig?

Christoph Harrach: Davor war ich aber nochmal festangestellt, denn es kam Hess Naturtextilien – die damals zum Karstadt-Quelle Konzern gehörten – mit dem Angebot auf mich zu, Abteilungsleiter E-Commerce zu werden und das habe ich angenommen. Bei Hess Natur bin ich vielen Überzeugungstätern begegnet und das gab quasi nochmal einen „boost“ für meinen privaten nachhaltigen Konsum: Ich bin auf Ökostrom umgestiegen, Vegetarier geworden und so hat sich mein Leben prozesshaft verändert. Als dann die ganze Nachhaltigkeitsdiskussion losging, als Bücher herauskamen wie von Tanja Busse „Die Einkaufsrevolution“ oder von Fred Grimm „Shopping hilft die Welt verbessern“ plus das Zukunftsinstitut, Eike Wenzel, die erste Studie über die LOHAS – das kam zeitlich mit Web 2.0 um die Jahrtausendwende, Blog, YouTube, Bürgerjournalismus… habe ich mich fortan beruflich und privat mit der nachhaltigen Entwicklung beschäftigt.

Und da ich mich in meiner Funktion bei Hess Natur viel um das Internet kümmerte, startete ich privat einen Selbstversuch mit dem Bloggen und verbreitete Berichte von amerikanischen Bloggern in Deutschland. Das fand so eine große Resonanz, dass ich 2007 aus der Festanstellung rausgegangen bin und beraten habe, zum Beispiel die Plattform „Utopia“ bis zu ihrem Launch. Und daraus ist die Wertegemeinschaft KarmaKonsum erwachsen und hat sich im Laufe der Zeit von eher marken- und designorientierten Konzepten für LOHAS hin zu Lebensstilkonzepten, politischem Aktionismus und zunehmend Spiritualität/ Bewusstseinswandel entwickelt.
Und aus einem ersten Stammtisch von Bloggern hat sich die KarmaKonsum Konferenz herausgebildet. Es kamen an einem Montagsabend in Frankfurt 120 Leute… aus Österreich, Schweiz, Hamburg, Berlin, München! Das hat mir gezeigt, ja, die Leute wollen sich über das Internet hinaus austauschen können und da gibt es eine Not, die ich wenden kann.

2) Geht die Nachhaltigkeitsbewegung in die Fläche?

wortstark: Danke, jetzt ist mir Ihr Weg deutlich geworden. Nun eine kleine Geschichte von mir: Ich zog im Januar 2013 nach Geisenfeld im Landkreis Pfaffenhofen an der Ilm, südlich von Ingolstadt, und wollte lokale Kontakte knüpfen. Gleich beim ersten Treffen von ProWirtschaft Pfaffenhofen (http://www.pro-wirtschaft.com/) stellte sich heraus, dass es hier eine starke Nachhaltigkeitsbewegung gibt, also mitten auf dem Land. Der lokale Wirtschaftsverein veranstaltet Diskussionsabende zum Thema Nachhaltigkeit und investiert dabei auch in prominente Referenten wie Prof. Franz Josef Radermacher oder Prof. Gerd de Haan. Ist das in Ihren Augen ein Einzelfall – ich sehe auf jeden Fall ein sehr starkes persönliches Engagement einzelner Vorstandsmitglieder – oder gibt es so was öfter an verschiedenen Plätzen der Republik, wenn wir mal nur von Deutschland ausgehen?

Christoph Harrach: Ich habe keine Zahlen, ich kann nur das sagen, was ich beobachte und das ist natürlich subjektiv. Ich beobachte eine starke Sehnsucht der Menschen nach Natur, in den Städten zu erkennen an der „urban gardening“- Bewegung, wo also an jeder freien Fläche Gemüse angebaut wird. Man sieht es zweitens an Auflagen von Zeitschriften wie „Landlust“ und „Landspiegel“, die exponentiell nach oben schießen. Daneben steigt das Umweltbewusstsein der Allgemeinbevölkerung, was in einer Studie des Bundesumweltministeriums nachgewiesen wurde – wir sind zur Zeit in Deutschland auf dem höchsten Niveau überhaupt. Der Anstieg findet aber auch weltweit statt. Das kommt durch die transparenteren Märkte, durch das Internet, man spricht von global citizen movement, also einer weltweiten Bürgerbewegung über das Internet. Ich denke an Beispiele wie die Occupy Bewegung in New York, wo ein paar Tweets und Aktionen dazu führten, dass zum Beispiel die Banker in Frankfurt Ausgehsperre hatten. Das passiert alles relativ parallel. Und dank Internet ist der restliche Raum auch nicht mehr so abgeschottet.

3) Kondratieff hat doch recht: Menschen 2013 denken grün

Wir befinden uns in einer Phase der wirtschaftlichen Neuorientierung. Der russische Volkswirt Kondratieff hat ja diese langfristige Zyklen definiert, wonach wir uns gerade in der Umbruchsphase befinden vom Zeitalter der IT, Telekommunikation, Internet hin zu Spiritualität, Gesundheit und Nachhaltigkeit. Und im Umbruch gibt es natürlich auch immer viele Krisen, so interpretiere ich das: Sinnkrise in der Arbeitswelt, Finanzkrise an den Börsen, Generationenkrise in der Gesellschaft, Bildungskrise… wir leben halt in einer interessanten Zeit der Veränderung. Deswegen glaube ich auf jeden Fall, dass die Nachhaltigkeitsbewegung in die Fläche geht – um Ihre Frage zu beantworten.

wortstark: Danke. Schauen wir ganz konkret in die Wirtschaft hinein: Warum kommen nach anfangs einigen wenigen Privat-Engagierten heute immer mehr Unternehmen auf das Thema Nachhaltigkeit? Es kostet doch zunächst mal mehr Geld, Bioprodukte zu kaufen wie meinetwegen Kopierpapier aus nachhaltiger Forstwirtschaft? Wie erklärt es sich, dass Firmen plötzlich freiwillig mehr Geld ausgeben?

4) Warum streben Unternehmen nach Nachhaltigkeit?

Christoph Harrach: Das hat mehrere Gründe. Es ändern sich die Rahmenbedingungen: Zum Beispiel werden die Gesetze der EU immer strenger und die Unternehmen müssen darauf reagieren. Heute muss ein Unternehmen aus Fernost, was Siemens-Zulieferer werden will, einen Code of Conduct haben, denn ohne internationale Erklärung der Arbeitsrechte kommen sie bei Siemens überhaupt nicht in die Ausschreibung rein. Da gibt es einen klaren ökonomischen Handlungsdruck.

Auf der anderen Seite steigt das Umweltbewusstsein der Konsumenten und das hat eine Relevanz für die Konsumentscheidungen: Die Konsumenten wissen, ob sie Gammelfleisch oder Biofleisch kaufen und das hat Auswirkungen auf die Märkte.

Und die nächste Dimension ist, dass es keine Trennung des Menschen zwischen Privatwelt und Arbeitswelt gibt: „work-life-balance“ gibt es nicht, weil der Mensch ein holistisches Wesen ist, was nicht geteilt werden kann. Deswegen schwappen auch die Werte, die jemand privat lebt, früher oder später in die Arbeitswelt rüber. Bisher wurde work-life-balance überwiegend zeitökonomisch verstanden, also: „Ich will mehr Zeit zuhause verbringen, um meine Kinder zu betreuen, deswegen brauche ich eine Halbtagsstelle“. Die neueste Entwicklung ist aber: „Mir ist es privat wichtig, Bio-Essen zu haben, deswegen möchte ich auch in der Kantine eins bekommen.“ Es gibt auch eine „Werte-work-life-balance“. Das führt zu einem generellen Bewusstseinswandel in den Unternehmen, von innen heraus.

wortstark: … Auf welcher Basis glauben oder wissen Sie das?

5) Studie zeigt: Umweltbewusstsein, Konsum, Arbeitgeberwahl hängen zusammen

Christoph Harrach: Wir haben in einem von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Projekt knapp 3.000 Arbeitnehmer befragt zu den Wechselwirkungen zwischen Privatleben und Arbeit. (Link zur Studie: http://nachhaltig-leben-und-arbeiten.de/umfrage )
Unter den Befragten waren drei Gruppen: 1.100 Teilnehmer wurden als repräsentatives Panel online befragt, 1.400 Teilnehmer der grünen community in Deutschland befragt (die haben sich über einschlägige Medien wie KarmaKonsum, utopia, Schrot und Korn, die taz zusammengesetzt) und wir haben knapp 500 Mitarbeiter unserer drei Projektpartner REWE, Alnatura und tegut befragt. Damit hatten wir das konventionelle Lager, die grüne Community als extreme Ausprägung einer Wertorientierung  und die hellgrünen, also die mit grün sympathisieren aber noch unterwegs sind.

wortstark: Was kam in Einzelnen heraus?

Christoph Harrach: Wir haben auf der privaten Ebene zum Beispiel das Umweltbewusstsein und das nachhaltige Konsumverhalten mit validen wissenschaftlichen Skalen erhoben. Und auf der beruflichen Ebene haben wir das Empowerment-Konstrukt erfasst nach Spreitzer, das ist ein psychologisches Motivationskonstrukt mit vier Dimensionen. Und wir haben klassische personalpolitische Erfolgsfaktoren geprüft wie Mitarbeiterzufriedenheit, – bindung und –commitment, wobei wir uns auf das Commitment konzentrierten weil das die Bindung mit einschließt aber darüber hinaus noch so etwas wie Stolz beinhaltet: „Ich spreche bei Freunden stolz über mein Unternehmen“. Diese drei Ebenen haben wir abgefragt. Ergebnis: Es gab Unterschiede zwischen den drei Gruppen, aber es gibt einen großen statistisch aussagekräftigen Zusammenhang zwischen der privaten Nachhaltigkeitsorientierung, die sowohl in Einstellung als auch in Verhalten in die Arbeitswelt hinüberfließen.

wortstark: Was waren dazu die Fragen? Können Sie ein Beispiel geben?

6) Große Wichtigkeit der Werte, aber (noch) wenig Handlungsspielraum

Christoph Harrach: Ja, zum Beispiel für das Item „meaning“, also Bedeutung, Wichtigkeit, lautete der Satz: „Mir ist es wichtig, meine privaten Einstellungen und Werte am Arbeitsplatz einzubringen.“ Hier konnte man in mehreren Stufen zustimmen oder ablehnen.

wortstark: Wie hoch waren hier die Werte?

Christoph Harrach: Die grüne community stimmte hier mit 74% zu, die allgemeine Bevölkerung mit 54% und die Mitarbeiter der Projektpartner mit 69%.

wortstark: Okay, das ist schon recht eindeutig. Und wie sieht es mit den praktischen Folgen aus, also führt die Einstellung auch zur Tat oder pflegen die Leute nur still ihre persönlichen Wunschträume?

Christoph Harrach: Nein, den „impact“, also Einfluss, haben wir ebenfalls abgefragt. Eine der drei Fragen hierzu war „Ich entscheide mit darüber, was bei meinem Arbeitgeber bezüglich Nachhaltigkeit geschieht“.

wortstark: Aha, jetzt kommt das Öko-Kopierpapier ins Spiel…

Christoph Harrach: Genau. Und da zeigt sich eine Lücke zwischen dem Wunsch, die Werte einzubringen und der Realität in den Firmen. Nur 17% der Normalbevölkerung und 17% der grünen community haben hier zugestimmt, bei den Projektpartnern waren es 33%.

wortstark: Man will, aber kann noch nicht….

7) Wie sich „CSR-Performance“ auf die Mitarbeiterbindung auswirkt

Christoph Harrach: Ja. Aber wir haben noch mehr herausgefunden: Je höher das Umweltbewusstsein, desto höher auch die Erwartung, diese Werte auch am Arbeitsplatz einbringen zu können. Der Zusammenhang ist statistisch stark ausgeprägt mit einen Faktor von 0,62 (in einem Bereich 0 = kein Zusammenhang und 1 = vollständiger Zusammenhang). Interessant ist, dass es auch einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Einfluss am Arbeitsplatz auf das Commitment gibt, er liegt bei 0,44. Wenn man sich das als Grafik anschaut, ist das eine steile Gerade. Man kann sagen, dass das erfolgreiche Einbringen der privaten Werte etwa ein Fünftel des allgemeinen Commitments mit der Firma erklärt.

wortstark: Können Sie nochmal Commitment erklären, was das in Ihrer Studie bedeutet?

Christoph Harrach: Das ist ein multivariables Konstrukt, welches die Mitarbeiterbindung und den organisationalen Stolz erklärt.  Das Commitment wird nicht nur wie schon gesagt durch das erfolgreiche Einbringen der provaten Werte am Arbeitsplatz geprägt, sondern durch viele andere Faktoren wie zum Beispiel die Unternehmenskultur. Diese wiederum spiegelt auch die sogenannte CSR-Performance wider.

wortstark: Können Sie zur „CSR-Performance“ noch etwas sagen? Die Abkürzung steht ja für „corporate social responsability“, aber wie haben Sie die erfasst?

Christoph Harrach: Die wahrgenommene CSR-Performance erfasst den Eindruck der Mitarbeiter über das sozial ökologische Engagements eines Unternehmens. Zum Beispiel haben wir die Mitarbeiter gefragt nach dem Grad der Zustimmung zu der Aussage: „Mein Arbeitgeber investiert Zeit, Geld und andere Ressourcen, um sich für die Umwelt einzusetzen.“ Bemerkenswert ist, dass Mitarbeiter, die das Gefühl haben, in einem für „sinnvollen“ Arbeitgeber zu arbeiten, an diesen auch signifikant höher gebunden sind, als Mitarbeiter, wo das nicht der Fall ist.

8) Erste Schritte: Wie sich Konzerne und Mittelstand umbauen (können)

wortstark: Ja, das finde ich nachvollziehbar. Nächste Frage: Was empfehlen Sie Unternehmen, die verstärkt in Richtung Nachhaltigkeit gehen wollen: Wo sollen sie anfangen? Was sind die typischen Anfängerfehler? Wo sollten die Verantwortlichkeiten aufgehängt sein?

Christoph Harrach: Viele Unternehmen haben das Thema ja längst auf ihrer Agenda, es gibt kaum ein Großunternehmen keine Umwelt- oder CSR-Abteilung hat.

wortstark: Aber die kleinen und der Mittelstand? Die haben das oft nicht?

Christoph Harrach: Die kleinen agieren von vorneherein schon anders. Lassen Sie uns zuerst über Großunternehmen sprechen, wo eine Abteilung CSR besteht und entsprechende Strategie formuliert und extern kommuniziert wurde.

wortstark: Mit anderen Worten: Das moralische Feigenblatt? Es klingt halt gut, wenn eine Firma auch ein wenig „bio“ ist?

Christoph Harrach: Genau, das ist aber trotzdem die erste Stufe. Von dort aus rate ich den Unternehmen, ihre CSR-Aktivitäten mehr nach innen zu kommunizieren, zu den eigenen Mitarbeitern, um das Commitment zu erhöhen und ihre Mitarbeiter zu ermächtigen – empowerment -, Teil dieser Nachhaltigkeitsstrategie zu werden. Wie kommt das strategische Ziele herunter in die Organisation, in alle Unternehmensbereiche? Dazu wäre es gut, zu schauen: Wer sind die nachhaltigen Kompetenzträger? Wem ist das Thema persönlich wichtig und wer eignet sich fachlich, in seinem Bereich die Nachhaltigkeit voranzubringen, egal ob es der Buchhalter oder der Pförtner ist? Und dann empfehle ich über workshops, informelle Netzwerke, Innovations-Gesprächskreise, abteilungsübergreifend diese Nachhaltigkeitstalente miteinander in Kontakt zu bringen und zu ermächtigen, quasi von unten an dieser Strategie mitzuarbeiten.

wortstark: Schön pragmatisch… ich bin ganz erleichtert, dass Sie so etwas Pragmatisches sagen!

Christoph Harrach: Ich hätte auch noch sagen können „betriebliches Vorschlagswesen“ –

wortstark: Ach ne, das haben wir doch schon ewig und wirkt überhaupt nicht, jedenfalls nach meiner eigenen Konzernerfahrung. Am Ende meiner Zeit hatte ich stapelweise Schreibblöckchen und andere nette Trostpreise, weil meine Vorschläge aus zig Gründen leider abgelehnt wurden. Zum Glück für mich oder zum Pech für die steckenbleibende Firma erging es allen innovativen Mitarbeitern gleich! (lacht)

Christoph Harrach: Das muss aber nicht so sein, denn wenn Sie reihenweise Überzeugungsträger haben, denen es ein persönliches Bedürfnis ist, ihre Werte am Arbeitsplatz einzubringen, dann können Sie auch das betriebliche Vorschlagswesen neu beleben.

wortstark: Okay, möglicherweise, ja. Und haben Sie auch für die kleinen Unternehmen einen Tipp?

Christoph Harrach: Inhabergeführte kleine Unternehmen agieren per se schon nachhaltiger als die großen.

wortstark: Die Kleinen sparen doch auch beim Kopierpapier, oder?

Christoph Harrach: Ja, aber ich will die Gesamtperformance sehen und nicht nur das Kopierpapier. Bei den kleinen Firmen gibt es oft Dinge, die noch keiner aus der Nachhaltigkeitsbrille angeschaut hat und die sich für die CSR-Kommunikation eignen würden. Es würde sich lohnen, mal zusammenzutragen: Was leistet das Unternehmen an seinem Standort? Trigema sagt zum Beispiel „Jedes Kind unserer Mitarbeiter bekommt bei uns einen Ausbildungsplatz.“ Das tragen die aber – bisher – nicht nach außen. Die kleinen Firmen haben oft einen Glaubwürdigkeitsvorsprung: Die tun, aber reden nicht drüber. Die großen Firmen sagen: „Hier unsere Absichtserklärung: Wir wollen 2020 klimaneutral sein“. Die kommunizieren das, und dann folgt die Handlung. Schlauer ist es, zu sagen: „Wir haben unsere Emissionen in den letzten fünf Jahren schon um 40% gesenkt und unser Ziel ist es, bis 2020 auf 100% zu kommen.“ Und dann aber auch die Mitarbeiter einbinden und bei denen das kommunizieren und mit ihnen voranzutreiben.

wortstark: Das bringt ja auch eine starke politische Komponente hinein, also nur Öko-Papier kaufen und dabei die alten Strukturen behalten, so funktioniert Nachhaltigkeit ja noch nicht…?

Christoph Harrach: Genau. Aber noch ein Nachsatz, weil Sie immer vom Papier kaufen sprechen: Es geht in Zukunft im Sinne der Ökonomie noch stärker darum, Papier einzusparen, denn die Ressourcen werden immer knapper und immer teurer. Und in diesem Einsparen sind Mittelständler oft schon gut drin.

wortstark: Zum Einsparen statt Kaufen: Ich habe ja 2006 ein Interview mit der Initiatorin von „Papierwende jetzt“ über „ökologische Unternehmenskommunikation“ geführt, da ging es sehr detailliert um den Umgang mit den Ressourcen. http://www.wortstark.de/uknewsletteraktuell/32-sep-2006-oekologische-unternehmenskommunikation-zum-anfassen-papier.html?no_cache=1&sword_list%5B%5D=Papier

Ansonsten glaube ich intuitiv auch, dass Mittelständler ihren Ressourcenverbrauch besser unter Kontrolle haben, eine kleine Firma ist ja auch überschaubarer. – Zur offenen Frage: Wenn Ihnen aus Ihrem Kontext noch etwas einfällt, was hier nicht angesprochen wurde, aber Ihnen wichtig ist, dann finden Sie hier Raum dafür.

9) Potenziale eines neuen Wohlstands: Mit U-Bahn-Trendmap in die Zukunft

Christoph Harrach: Ich möchte zusammenfassen: Mein Anliegen ist das Personalthema. Das erwachsende Konsumentenbewusstsein im Privaten schwappt zunehmend in die Unternehmen hinüber. Kluge Unternehmer erkennen das und bieten Menschen einen Arbeitsplatz, an denen die ihre Werte leben können. Wenn sie das nicht tun, laufen sie Gefahr, ihre Mitarbeiter zu verlieren und das kreative Potenzial der jungen Generation erst gar nicht anzuziehen. Man sieht bei den Millenials, also der „generation y“ eine sehr hohe Relevanz der Nachhaltigkeit für die Arbeitgeberwahl, das ist also auch ein Recruitingthema. Deswegen rate ich allen Unternehmen, sich des Themas Nachhaltigkeit insbesondere aus personalpolitischer Sicht anzunehmen, um das Humankapital der Zukunft an sich zu binden.

Und was auch noch nicht gesagt wurde: Dass Nachhaltigkeit attraktiv ist. Daraus entsteht ein Sog. So wie die Biene zur Blüte fliegt, werden die Menschen davon angezogen. Wir haben in unserer Trendmap versucht, das komplexe Thema Nachhaltigkeit auf einen Blick zusammenzubringen: http://www.karmakonsum.de/info/downloads/090610_trendmap_final.pdf. Die Trendkarte basiert auf den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – nach UN-Definition – und zwar people, planet und profit.

wortstark: Ihre Karte sieht irgendwie aus wie eine Übersicht im öffentlicher Nahverkehr, also wie ein S-Bahn- oder U-Bahnnetz… ist das Absicht?

Christoph Harrach: Ja, es ist ein U-Bahnnetz im Sinne „underground“, da sehen Sie die Stationen und verborgenen Potenziale eines neuen Wohlstands.

wortstark: … Was für ein Schlusssatz! Das Gespräch mit Ihnen war sehr erhellend und inspirierend für mich – vielen Dank, Herr Harrach.

Christoph Harrach

Sie erreichen Christoph Harrach unter
Tel.: 05234 – 121 90 48
E-Mail: christoph(at)karmakonsum.de
Website: www.karmakonsum.de