wortstark Newsletter 73 (Juli 2012)
Vorleser, Schwachstellenjäger und Königinnen:
Moderation in Medien und Wirtschaft
Experte: Michael Rossié, München.
Anlass: Eigene gute Moderationserfahrungen in jüngerer Zeit und Appetit auf mehr. Langjährige Coachingbeziehung zum Experten: oft kontrovers, stets konstruktiv.
1. Als gelernter Schauspieler Sprechtraining und Coaching geben: Reiz der Berufswahl?
2. Was ist für Sie Moderation – und was ist es nicht? „Wirtschaftsmoderation“?
3. Drei Punkte, auf die es bei der erfolgreichen Moderation am meisten ankommt?
4. Life oder aufgezeichnet: Wo liegen die Unterschiede?
5. Lachen und Lächerlichmachen: Bühnenfutter versus Selbstvermarkter
6. Fünf Ansätze für mehr Souveränität in Interviewsituationen
7. Wen mag das Publikum und was erwartet es von der Moderation
8. Langweilig-weichgespült oder lustvoll fertiggemacht?
9. Warum schöne Frauen besonders viel kritisiert werden
10. Was ModeratorInnen lernen müssen und warum der Beruf Zukunft hat
1. Als gelernter Schauspieler Sprechtraining und Coaching geben: Reiz der Berufswahl?
wortstark: Herr Rossié, Sie sind ausgebildeter Schauspieler und arbeiten inzwischen schon seit 25 Jahren als Sprechtrainer und Coach vor allem für Moderatoren in den Medien und in der Wirtschaft. Wie kamen Sie zu dieser Aufgabe? Und warum sind Sie nicht Schauspieler geblieben sondern verhelfen lieber anderen Leuten zu einem guten Bühnenauftritt?
Michael Rossié: Der Markt für Schauspieler wird immer kleiner: Die Theater machen zu, und es gibt diese Fernsehserien nicht mehr, die früher gemacht wurden – heute wird das importiert. Aber der Hauptgrund war, dass mir das einfach immer schon Spaß gemacht hat: Erst in der Jugendarbeit, dann habe ich auf der Schauspielschule unterrichtet und das hat sich nahtlos fortgesetzt. Als Schauspieler bin ich Nr. 6734. Als Trainer bin ich deutlich weiter vorne, hab ein deutlich höheres Renommee und, ganz ehrlich: Ich mache viel Speaking, das heißt ich stehe auf einer großen Bühne und unterhalte 1000 Menschen… die haben Spaß dabei – das ist doch wie Theater?! Ich habe aber keine unangenehmen Kollegen, kein Bühnenbild und keine große Technik, ich hab nur mich. Im Grunde genommen mache ich Kabarett, ich nenne das Speaking. Ich verdiene mehr als ein Schauspieler, bin mein eigener Herr und mach genau das, was mir Spaß macht, ohne dass ich vor 30 Jahren hätte sagen können, dass es diesen Beruf überhaupt gibt. Ich bin Speaker mit Leib und Seele! Ich spiele „1-Personen-Theaterstücke“, wenn ich nicht gerade trainiere oder coache. Ich muss einem Moderator aber auch zeigen können, dass ich es besser kann als er. Irgendwann sagt der: „Jetzt mach Du es doch mal?“ Und dann muss der sagen „wow“…
wortstark: „Wow“ – das war jetzt eine sehr vielseitige Antwort (lacht). Eine Nachfrage: Wieso sagen Sie „Speaker“ und nicht „Sprecher“?
Michael Rossié: Weil ich erstens bei einer Speaker Organisation bin und weil der Beruf zweitens aus Amerika kommt. Das hat also historische Gründe. „Sprecher“ wäre einer, der Rundfunkwerbung spricht oder eine Off-Stimme. Ein „Speaker“ ist eher ein Redner. Aber für „Key Note Speaker“ gibt es schon gar keine gängige deutsche Übersetzung mehr. Wenn ich auf meine Internetseite den Begriff „Hauptredner“ setzen würde, lachen alle.
2. Was ist für Sie Moderation – und was ist es nicht? „Wirtschaftsmoderation“?
wortstark: Aha? Zur nächsten Frage: Was ist für Sie Moderation – und was ist es nicht?
Michael Rossié: Es gibt hier zwei Sichtweisen: Die des Kunden und meine Sichtweise. Für mich heißt Moderation, dass frei gesprochen wird oder nach Stichworten, so wie ein Kai Pflaume, wenn er „Nur die Liebe zählt“ moderiert oder Hape Kerkeling bei „Let´s dance“. Es gibt aber auch Moderatoren, die vom Teleprompter ablesen oder auswendig lernen. Die brauchen andere Techniken und müssen anders geschult werden, siehe meine beiden Bücher, eins über freies Sprechen und eins über Sprechertraining. Die meisten Moderatoren, die ich coache, sprechen nicht frei, sondern bekommen witzige Texte von einem Autor. Die lernen sie fast auswendig und sie werden zusätzlich auf den Teleprompter gelegt. Das ist oft nicht die beste Möglichkeit, aber es ist nicht meine Entscheidung sondern die des Senders. Wenn Frau Will oder Frau Miosga vom Teleprompter ablesen sollen, dann ist das ihre Sache oder die des Senders. Für mich fängt Moderation erst da an, wo jemand nicht abliest – das wäre sonst der halbe Beruf, der amputierte Beruf, denn das ist der Beruf des Vorlesers und nicht der des Moderators. Deswegen hat bei mir Günther Jauch einen höheren Stellenwert als ein Alexander Mazza oder Birgit Schrowange, die alle vom Teleprompter ablesen.
wortstark: Vermitteln Sie auch die sogenannte „Wirtschaftsmoderation“ mit Metaplan-Karten, Punktabfragen und ähnlichen Methoden?
Michael Rossié: Nein. Das ist etwas ganz anderes. Das ist eine hochkomplexe Tätigkeit, die eher in der Psychologie angesiedelt ist und die ich eher als „Gruppenmoderation“ bezeichnen würde. Da geht es ja um große Veränderungsprozesse. Die klassische Moderation ist viel einfacher, das ist eher ein Handwerk. Mir fiele kaum ein Mensch ein, der sowas nicht könnte oder lernen könnte.
3. Drei Punkte, auf die es bei der erfolgreichen Moderation am meisten ankommt?
wortstark: Wenn es so einfach ist: Könnten Sie drei Punkte zusammenfassen, auf die es Ihnen bei der erfolgreichen Moderation ankommt?
Michael Rossié: Ja.
- Erstens: Man muss ein bisschen die Bluse aufmachen, man muss die Menschen in die eigene Seele gucken lassen, man verrät sich ein Stück. Kurt Tucholsky hat gesagt: „Der Redner steht nackter als im Sonnenbade“. Ich brauche einen gewissen Mut um zu sagen: „Ja, hier stehe ich, ich habe einen Pickel auf der Nase und meine Beine sind schief und ich stottere manchmal, aber das tut jetzt nichts zur Sache, ich möchte jetzt nach vorne“.
- Zweitens halte ich für wichtig, dass ein Moderator ein gewisses Allgemeinwissen besitzt. Er sollte zwei Zeitungen lesen und mindestens eine davon sollte seriös sein. Ich muss auf der Höhe der Zeit sein und mitreden können. Ich muss über Griechenland Witze machen können, wenn´s drauf ankommt und wer sich gar nicht auskennt, was in unserer Welt passiert, das wäre schlecht.
- Und das Dritte ist: Ich sollte mich selbst einigermaßen attraktiv finden. Dafür muss ich nicht wirklich attraktiv sein aber ich muss mich so empfinden. Der Zuschauer will das Gefühl haben, dass da jemand zu sich steht. Dann wird derjenige auch für die anderen attraktiv und dann macht es Spaß, ihn anzusehen.
Das sind die wichtigsten Voraussetzungen, alles andere kann man lernen. Wenn man natürlich aussieht wie Wayne Carpendale, hat man es leichter, da brauchen wir nicht drüber reden. Auf Claus Kleber stehen auch alle. Und wenn ein Mädel bildhübsch ist, dann kann sie schlechter sein. Dort gelten andere Ansprüche. Wenn die nur halb so gut sind, dann reicht das auch. Und umgedreht: Wenn Männer sehr viel Charme und Witz haben, können sie auch eine Glatze haben. Aber nur ernsthaft und eine Glatze? „Ne, dann nehmen wir doch lieber den mit Haaren…“
4. Life oder aufgezeichnet: Wo liegen die Unterschiede?
wortstark: Interessante Überlegungen… (lacht). Meine nächste Frage: Gibt es Unterschiede zwischen der Moderation eines Wirtschaftsmagazins in einem Fernsehstudio mit Studiogästen und einer großen Außendiensttagung der Industrie in einer Stadthalle, die life stattfindet? Wenn ja, welche?
Michael Rossié: Nein, da gibt es keine Unterschiede. Ich kann beide Sachen textlich vorbereiten und abspulen oder frei machen. Aber wo ich dabei bin, ist für die Arbeit egal. Was interessant ist: Will der Auftraggeber es „geskriptet“ haben, wie man das nennt, denn da haben sie weniger Angst, dass es nicht so wird wie sie sich das vorgestellt haben. Natürlich ist es einfacher, wenn der Kameramann weiß: Bei diesem Satz steht er an diesem Ort, den er vorher eingeleuchtet hat. Aber es wird dadurch statischer und lange nicht so gut, aber eben auch leichter.
wortstark: Aha, also keine Unterschiede …
Michael Rossié: Es kommt in beiden Fällen vor, dass jemand mal ausflippt und zum Beispiel die Bühne verlässt, aber kein Mensch würde deshalb heute eine Aufzeichnung unterbrechen und wiederholen, das kostet viel zu viel Geld. Da besteht zwischen tape und life nicht so viel Unterschied, außer dass beim tape der Sender sicher sein kann, dass kein blöden Witze gerissen oder der Ministerpräsident beleidigt wurde.
wortstark: Was heißt „life“ und „tape“ in diesem Fall genau?
Michael Rossié: Man lässt alles life mitlaufen, sendet aber das aufgezeichnete tape zeitversetzt, damit man eventuell eingreifen kann. Das macht man beim Radio oft: Man zeichnet um 16:50h die Nachrichten auf, die man um 17:00h sendet. So lernt ein Moderator nie, wirklich life die Nachrichten zu sprechen, weil er davor viel zu viel Angst hat. Aber für den Sender ist es einfacher, dann läuft es glatter. Und es ist billiger: So kann ich auch einen Zwanzigjährigen die Nachrichten lesen lassen, denn er kann es ja im Notfall nochmal machen.
wortstark: Mann o Mann, wie sich wirtschaftliche Überlegungen heute durch alles durchziehen… Das war in meiner journalistischen Zeit noch anders.
Michael Rossié: Es geht noch weiter: Ein Interview mit dem Polizeipräsidenten wird vom Praktikanten geführt und aufgezeichnet. Der Praktikant schneidet das, legt es dem Moderator auf 10 Knöpfe, der stellt 10 Fragen und drückt für die Antworten die jeweiligen Knöpfe. Und regelmäßig erwischt der Moderator den falschen Knopf und wir lachen uns kaputt.
5. Lachen und Lächerlichmachen: Bühnenfutter versus Selbstvermarkter
wortstark: Das ist ein schönes Stichwort: Lachen. Die erste TV-Sendung, bei der ich mich an Moderation erinnere, war in den 70er Jahren „Spiel ohne Grenzen“, wo Leute unter Zeitdruck Wassereimer von A nach B schleppten und alle lachten, wenn einer hinfiel. Später kamen Sendungen mit Hans-Joachim Kuhlenkampff und bald schon Thomas Gottschalk mit „Wetten-dass“. Da empfand ich den Umgang mit den Studiogästen respektvoll und menschlich. Seit Ende der 90er Jahre sorgt Stefan Raab für Einschaltquoten, indem er Leute vor laufender Kamera lächerlich macht und damit wieder so eine Art Amphitheater auf der Bühne eröffnete. Ist Lächerlichmachen und – in meinen Augen – der öffentliche psychologische Vernichtungsfeldzug heute wieder gefragt? Wie stehen Sie zum Humor mit oder gegen Studiogäste?
Michael Rossié: Ich glaube, da können Sie ruhig zwei Gänge runterfahren. Herr Kuhlenkampff hat seine Gäste zwar grundsätzlich respektiert, aber er hat durchaus auch Witze auf ihre Kosten gemacht. Und es gab schon damals Fälle, wo Menschen sich fast ins Gesicht gesprungen sind oder geohrfeigt haben im Studio. Aber Stefan Raab fand eine Nische: Eine freche, unkonventionelle Talkshow für jüngeres Publikum. Wo er Witze reißt auf Kosten seiner Gäste. Dafür hat er auch Gäste, die sonst nie ins Fernsehen kämen. Und die wissen doch vorher, was sie erwartet. Deshalb finde ich es nicht schlimm. Jeder kann doch sagen, da gehe ich nicht hin? Die Leute haben ja auch etwas davon, man schafft ihnen doch eine Bühne. Ich habe einen Sänger gecoacht, der zu Harald Schmidt in die Sendung ging. Der macht das, weil seine PR-Agentur sagt: „Du gehst da hin. Danach verkaufst Du 10.000 CDs mehr.“
wortstark: Bei dem Sänger mit seinen CDs glaube ich das schon, aber bei jemand völlig Unbekannten, glauben Sie wirklich, dass sich da einer den Namen merkt? Der ist doch sozusagen nur Bühnenfutter?
Michael Rossié: Wenn der Moderator bei dem Unbekannten zum Beispiel sagt „Ich habe Ihr Video im Internet gesehen – selten so gelacht“, dann gucken am nächsten Tag 100.000 Menschen auf YouTube dieses Video an! Wenn man etwas für die Zielgruppe hat, muss man da hin. Und wenn ich Lust habe, mich mit anderen in den Ring zu werfen, bitteschön…
wortstark: Können wir nochmal allgemeiner über Humor sprechen: Wie kann man verhindern, dass Moderatoren Leute auf der Bühne lächerlich machen, oder soll man das gar nicht verhindern? Wie gehen Sie mit dem Thema um, wenn Sie Moderatoren ausbilden?
6. Fünf Ansätze für mehr Souveränität in Interviewsituationen
Michael Rossié: Es geht darum: Wer von beiden ist der Souveränere? Ich stärke den Coachee und bringe ihm Techniken bei, wie er in fünf Fällen reagiert:
- Was mach ich mit einem Thema wo ich denke: „Hä? Was soll ich dazu sagen?“
- Wie verschaffe ich mir Zeit? Manchmal weiß ich es, aber ich bräuchte mehr Zeit.
- Wie gehe ich mit etwas um, was ich nicht weiß? Davor haben viele Angst.
- Wie gehe ich mit etwas um, was ich nicht will?
- Wie gehe ich mit Aggression um, mit Angriff, Sarkasmus, Ironie?
Wenn Sie bei mir darauf Antworten bekommen haben, dann gehen die zu Stefan Raab und sagen: „Soll der erstmal kommen…“
wortstark: Ja, das klingt gut. Doch wir sind jetzt schon wieder in der anderen Perspektive, also dass sich jemand wehren muss gegen einen Moderator. Ich gehe jetzt aber vom Moderator aus, der gerne humorvoll sein will, aber niemand durch den Kakao ziehen will, so gehe ich da jedenfalls heran –
Michael Rossié: Frau Hartmann: Witze ohne Opfer gibt es nicht.
wortstark: Dann könnte man immer noch selber das Opfer sein oder ein abstrakter Otto Normalverbraucher…?
Michael Rossié: Warum kann ich nicht mal einen Witz machen über Herrn Sarkozy? Ich finde, der hat es manchmal verdient.
wortstark: Promis sind etwas anderes, die stehen ja auch im Licht der Öffentlichkeit. Aber wenn ich einen Gast auf der Bühne habe und der trägt eine komische Frisur, dann könnte ich früher oder später sagen: „Also Ihnen stehen ja auch die Haare zu Berge“. Oder ich lasse es.
7. Wen mag das Publikum und was erwartet es von der Moderation?
Michael Rossié: Wenn da ein 20-Jähriger steht, der diese Frisur schön findet, dann sage ich nichts. Wenn da ein 50-Jähriger steht, der sich die Haare bewusst gefärbt und toupiert hat, weil er denkt, er sei der Allergrößte, der kriegt von mir mal was von der Seite mit. Wenn der Zuschauer denkt: „Also jetzt könnte die Hartmann ihm aber schon mal eine mitgeben“ und kurz danach tun Sie es, dann ist es genau richtig. Wenn Sie es kurz vorher tun, dann ist es falsch, dann haben Sie die Zuschauer gegen sich. Der Zuschauer ist immer auf der Seite des Schwachen, es sei denn, er hat selber entschieden, dass er jemand nicht mag. Wenn jemand zweimal das Wort an sich reißt, kann man das zulassen, beim dritten Mal muss man ihm das Wort wegnehmen.
wortstark: Damit nicht das Volk auf ihn sauer wird?
Michael Rossié: Damit das Volk nicht auf Sie sauer wird, weil Sie die Sendung nicht mehr im Griff haben. Das erwarte ich von Ihnen zu jeder Zeit. Nichts ist schlimmer, als wenn Frau Maischberger ihre Studiogäste nicht mehr im Griff hat. Ich kann das gar nicht aushalten und denke „nein, nein, keine Monologe halten lassen!“ Lieber unterbrechen. Und das meine ich deutlich: „Also Herr Politiker Soundso, jetzt haben Sie genug Wahlwerbung gemacht, jetzt kommen wir mal wieder zum Thema, Sie haben meine Frage überhaupt nicht beantwortet.“ Oder dann mache ich einen Witz auf dessen Kosten: „Schön, war das jetzt der Werbespot für die CDU. Dann können wir ja jetzt wieder zur Diskussion zurückkehren“. Wenn der Zuschauer die ganze Zeit gedacht hat: „Der macht doch jetzt nur wieder CDU-Werbung“, dann freut er sich über Sie und sagt „Ja, Hartmann, gib´s ihm, er hat´s verdient“. Sie müssen schon auch gucken, wo sind die Sympathien? Jemand, der nett und freundlich ist, den macht man ja nicht fertig. Man braucht gar nicht so vorsichtig sein. Und es gibt sicher Pointen, da muss man sich danach entschuldigen. Aber es gibt unter Schauspielern auch den Spruch: „Lieber einen Freund verlieren als eine Pointe auslassen“ –
wortstark: Ah! Das ist doch krass! Und… ich sehe das echt anders.
Michael Rossié: Wenn Sie vor Hunderten oder Tausenden Leuten stehen, dann haben Sie sich nicht immer völlig im Griff. Da können Sie sich x-mal vornehmen, dass Ihnen etwas nicht passiert und in der Situation, wenn zum Beispiel alle lachen, dann passiert es eben doch. Das verselbständigt sich. Das ist wie ein Flug mit einem Düsenjäger – da muss man irgendwie durch. Und wir haben unser Wertegerüst: Wenn Sie sonst im Leben niemand fertigmachen, dann werden Sie das vor laufender Kamera auch nicht tun.
wortstark: Genau. Das glaube ich auch, dass es so eine Art Grundhaltung ist, den anderen erstmal fertigzumachen, damit ich selbst besser dastehe oder ob ich erstmal schaue: Was ist das für einer und wie komme ich mit dem klar? Ich beobachte diesen Punkt sehr viel, bei Fernsehsendungen oder auch bei Veranstaltungen, das finde ich sehr wichtig.
8. Langweilig-weichgespült oder lustvoll fertiggemacht?
Michael Rossié: Aber beim privaten Gespräch machen Sie sich doch auch nicht so viele Gedanken, ob Sie aus Ihrem Werteraster fallen? Warum sollten Sie es dann vor einem Millionenpublikum tun?
wortstark: Weil der Schaden entsprechend schlimmer ist für den anderen! Wenn ich nur mal in der Familie jemand eine patzige Antwort gebe, dann ist das etwas anderes als wenn ich vor Tausenden von Zuschauern jemand blöd anrede.
Michael Rossié: Sobald der aber ins Fernsehen geht, muss er damit rechnen. Eine Barbara Schöneberger mit ihren Ecken und Kanten oder ein Günther Jauch, der mal einen Kandidaten nicht leiden kann, die sind mir wesentlich lieber als dieses ständige weichgespülte „wir mögen uns alle“. Das langweilt mich zu Tode! So ist das Leben nicht und so möchte ich es auch nicht sehen im Fernsehen. Das regt mich auf, wenn eine Moderatorin so vorsichtig fragt und herumdienert vor Josef Ackermann, uah…
wortstark: Mir geht es nicht um irgendwelche Machtmenschen sondern um das nervöse Hemd, was zum ersten Mal im Fernsehen ist und dann rund gemacht wird – der hat doch einen Schaden fürs Leben?
Michael Rossié: Zwischen einer unbedachten Bemerkung und rund machen liegt ein langer Weg. Aber wer ins Fernsehen will, der bekommt dadurch eine große Bekanntheit. Das ist der Tag seines Lebens, das kann er noch seinen Enkeln zeigen. Das ganze Dorf spricht mit ihm. Dafür muss er auch mal in Kauf nehmen, dass ein Witz auf seine Kosten gemacht wird, mein Gott. Ich hab mal eine Sendung gecoacht, da sind Ehepaare gegeneinander angetreten –
wortstark: – Moment: Je zwei Paare gegeneinander oder die Partner untereinander?
Michael Rossié: Untereinander, also Frau gegen Mann und umgedreht. Das war schreiend komisch, aber es wurde natürlich auch reichlich schmutzige Wäsche gewaschen. Nur dürfen Sie nicht vergessen: Die meisten bekommen Geld dafür.
wortstark: Wie viel bekamen denn diese Ehepaare für ihre Auftritte, als Nicht-Prominente?
Michael Rossié: Die bekamen pro Sendung zwischen 1.000 und 4.000 Euro, vierstellige Beträge sind da normal. Ein Sender kommt auf diesem Weg immer noch billiger weg, als wenn er ein Fernsehspiel produziert oder einen Tatort, der pro Drehtag zwischen 80 und 100.000 Euro kostet. Dafür kann man schon eine Menge Studiogäste haben.
wortstark: Das hat mich jetzt interessiert, wenn sich schon Ehepaare öffentlich zerfleischen, wie viel Geld sie dafür kriegen, ob das ein Motiv sein kann? Ich bin fest davon überzeugt, dass die sich nachher nicht mehr so begegnen können wir vorher. Aber die hatten ja wahrscheinlich schon ihre Gründe, warum sie mit ihrem Privatleben an die Öffentlichkeit gehen, nach dem Motto: „Jetzt zeig ich´s Dir mal…“.
9. Warum schöne Frauen besonders viel kritisiert werden
Michael Rossié: Menschen sind verschieden strukturiert. Die einen streiten sich wie die Kesselflicker und haben danach den heißesten Sex und alles ist wieder gut, während andere vielleicht sagen würden: „Mit dem rede ich Wochen nicht mehr!“ Es gibt Menschen, die haben so ein Selbstbewusstsein, die hören: „Du hast ´ne Scheißfrisur“ und geben ganz cool zurück: „Du aber auch“. Es gibt Menschen, die brechen nicht gleich zusammen, wenn sie blöd angeredet werden. Wir dürfen nicht den Fehler machen, die eigene Psyche auf andere zu übertragen. Und ins Fernsehen geht man nur, wenn man selbstbewusst ist. Nebenbei: Besonders attraktive Menschen müssen besonders viel aushalten. Die hübscheste Moderatorin wird am hartnäckigsten kritisiert und zwar am meisten von den Männern, die eine solche Frau in der Klasse nie abgekriegt hätten. Einer schönen Frau mal zu erklären, was Sache ist: Davon träumen Männer!
wortstark: Tja … – wir sind in nun wirklich weit in die gelebte Praxis der Moderation hinein gekommen, vielen Dank. Wenn Ihnen aus Ihrem Kontext noch etwas einfällt, was hier nicht angesprochen wurde, aber Ihnen wichtig ist, dann finden Sie hier Raum dafür.
10. Was ModeratorInnen lernen müssen und warum der Beruf Zukunft hat
Michael Rossié: Der Beruf des Moderators ist wie gesagt kein Medizinstudium, aber man muss es schon ein bisschen lernen. Man sollte etwas über Haltung wissen, über Stimme – wenn einer so ein Quäkstimmchen hat, dann hat es keinen Sinn. Man sollte etwas über Gesprächsführung wissen, wie man Fragen stellt. Man sollte etwas über Psychologie wissen – wie man jemanden behutsam behandelt, wie man aus jemandem was rausholt, wie man zum Beispiel auch lernt, zu erkennen, wenn Schluss ist, wenn man also aus jemandem nichts mehr herausholt. Wie man jemanden aus der Reserve lockt, oder einen Aggressiven beruhigen lernt.
Es gibt ein paar Dinge, die man können muss, um sicher in die Situation hineingehen zu können. Auch mit der Technik sollte man sich etwas auskennen. Man sollte sich gut konzentrieren können, denn es sind auf den Bühnen Zeichen auf dem Boden, Zeichen an den Wänden, Blickachsen – der Moderator kann da nicht einfach durch die Gegend laufen wie er will, das muss er sich alles merken, also muss er ein gutes Gedächtnis haben. Es gibt also schon ein paar Sachen, aber sie sind endlich und eigentlich für jeden zu erlernen.
Und der Markt für Moderatoren wird durch das Internet deutlich größer: Selbst die Kinokritik gibt es heute als Bewegtbild. Und auch Firmen gehen heute immer mehr zu Videos über, sei es für den Quartalsbericht oder Videos über Konferenzen, deren Zusammenfassung abends schon online als Film im Netz zu sehen ist. Deutsches Börsenfernsehen – ausschließlich im Internet. Oder die Lern-CDs, wofür es Moderatoren gibt, die hindurch führen. Video ist heute einfacher und billiger geworden und es hat durch das Internet deutlich an Attraktivität gewonnen.
wortstark: Na dann, das klingt ja positiv! Recht herzlichen Dank für dieses Interview, Herr Rossié!
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Tel. 089 – 852 753
E-Mail: mr@sprechertraining.de
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