Den Teufel auslachen – vom Zauber der Karikatur

Liebe Leserinnen und Leser,

mit dem Simplify-Kalender teile ich seit vielen Jahren das stille Örtchen. Ich habe versucht, mal ein Jahr ohne Simplify-Kalender zu beginnen, aber spätestens in der dritten Januarwoche habe ich ihn so sehr vermisst, dass ich die halbe Stadt ablief, um doch noch ein Exemplar zu ergattern. Ein Leben ohne Simplify-Kalender? Nein danke.

Und wenn es bei mir kritisch wird, wenn ich in eine Prüfungssituation komme, dann waren die Tipps und Zeichnungen von Werner Tiki Küstenmacher auch schon oft dabei. Zum Beispiel im Sommer 2009 bei meiner dreistufigen theoretischen LKW-Führerscheinprüfung. Ich ließ mich ermutigen von einem Apfel, der mit heruntergezogenen Augenbrauen und spitzen Zähnchen ein entschlossenes Gesicht zeigte. Darunter stand: „Beißen Sie in den sauren Apfel!“ Das Bild hat mir im entscheidenden Moment zusätzliche Kraft gegeben, die Konzentration zu halten und bei allem Zeitdruck richtig zu entscheiden. Karikaturen, gute Karikaturen, so lernte ich gerade an diesem Fall, verleihen Flügel.

Werner Tiki Küstenmacher weiß um diese beflügelnde Kraft aus der Vereinfachung, der pointierten Darstellung, in Wort wie in Bild. Ich freue mich sehr, dass er in diesem Interview den Bogen spannt von den Untiefen der Persönlichkeit bis hin zur hochabstrakten Spiritualität der Gesellschaft, ohne je den Boden der Tatsachen zu verlassen. Er zeigt sich nicht nur als der begnadete Zeichner sondern auch als der konzeptionelle Entdecker und Entwickler der Simplify-Reihe. Der vielseitige Theologe, der das erste Comic-Computerbuch malte und seit zwei Jahrzehnten gestressten Menschen gegen alle Widrigkeiten des Alltags puffert, erzählt hier, was ihn von der Kanzel an den Zeichentisch führte und wo er die Chancen und Grenzen der Vereinfachung sieht.

Meine Freude war groß, nach einem Vortrag Küstenmachers endlich persönlichen Kontakt zu dem Menschen zu bekommen, der mir über seine Zeichnungen und seine Botschaft schon so lange vertraut war. Die zweite Freude bestand daran, dass er sich sofort  zum Interview bereiterklärte. Und die größte Ehre, das Tüpfelchen auf dem „i“, die absolute Sahnehaube sehen Sie hier vorab, bevor diese Zeichnung offiziell auf meine Website schwebt: wortstark

Fröhliche Frühlingsgrüße und viel Spaß beim Lesen,

Ihre Annette Hartmann

Persönlichkeit bekommt einen Henkel und andere Wunder der Vereinfachung

wortstark: Herr Küstenmacher – Sie sind evangelischer Theologe, Journalist und Karikaturist. Charmant werben Sie für Themen, die für viele Menschen ein rotes Tuch darstellen: So haben Sie die kirchliche Literatur modernisiert und eines der ersten Computerlehrbücher mit Comics belebt und dem damaligen Alptraum jeder Sekretärin den Schrecken genommen. Was hat Sie dazu gebracht? Gab es bestimmte Schlüsselerlebnisse?

W.T. Küstenmacher: Es gab ein Buch, was ich als kleiner Junge gelesen habe: „Elektronik in Bildern“, aus dem Franckh Verlag. Der Zeichner hieß Fidel Nebehosteny. In dem Buch waren in einer Spalte Karikaturen und in der anderen war Text. Ich habe die Elektrotechnik auf Anhieb kapiert, weil es so schön aufbereitet war. Das war wirklich etwas, was mich geprägt hat. Daneben faszinierten mich immer Schaubilder, also Schiffe im Querschnitt, wo man hineinschauen konnte, in den Maschinenraum und in die Kajüten. Oder Explosionszeichnungen von einem Motor. Da habe ich schon sehr früh gemerkt: Wow – was hat ein Bild für eine Kraft! Das ist die eigentliche Leistung eines Illustrators: einen abstrakten Vorgang, etwas Sprachliches, in Bilder übersetzen. Das schönste Beispiel, wo mir das früh gelungen ist, war die Übersetzung des Betriebssystems MS-DOS.

wortstark: Wann war das eigentlich, Ihr Computerbuch?

W.T. Küstenmacher: Das Buch kam 1988 heraus. Ich hatte eigentlich mehr für mich so ein kleines Poster gemacht mit den ganzen Befehlen und mir das neben den Computer gehängt – natürlich auch mit kleinen Zeichnungen versehen. Das hat ein Freund bei mir in meinem Büro gesehen und gesagt: „Daraus machen wir etwas!“ Dieser Ralph Moellers hat bald darauf den Systhema Verlag gegründet. Eins seiner ersten Bücher war meine „MS-Dose“. Wir haben das Poster mit einem durchlaufenden Text erweitert und aufgeteilt in kleine Geschichten. Aber die Grundidee war noch die von Fidel Nebehosteny – Bilder, die einen sehr abstrakten Vorgang anschaulich machen. Bei MS-Dose war eine Datei ein kleines dosenförmiges Männchen, das in einer Schachtel wohnt, und diese Schachtel war das Verzeichnis. Man konnte diese Schachtel auf einen Kopierer legen, das war der „copy“-Befehl. Oder eine Datei erschießen, das war „delete“, usw.

wortstark: Erschießen kann bei Ihnen aber wirklich nur im übertragenden Sinne gemeint sein, mit Platzpatronen vielleicht. Denn bei Ihnen gibt es anscheinend nie wirklich etwas Böses? In Ihren Zeichnungen verleihen Sie auch Äpfeln, Briefumschlägen und PC-Bildschirmen Augen und machen Sie damit zu fühlenden Wesen mit Leib und Seele. Sogar Monster, die das Bedrohliche verkörpern, werden durch Ihre Feder noch zu liebevollen Knuddelwesen. Ist die Welt in Ihren Augen gut?

W.T. Küstenmacher: Absolut! Ich habe mit der Muttermilch viel Optimismus aufgesaugt. Meine Mutter hat mir eine optimistische Einstellung zum Leben vermittelt. Sie hat mir immer wieder erzählt, dass ich bei meiner Geburt fast gestorben wäre. Später mit drei Jahren hatte ich noch mal eine schwere Erkrankung, und meine Mutter hat mir immer vermittelt: Du kannst froh sein, dass du überhaupt da bist! Von daher hatte ich nie dieses Anspruchsdenken an das Leben wie es andere Leute haben: Was mir vielleicht noch alles zusteht, warum bin ich nicht reicher, warum bin ich nicht schöner, größer, stärker, warum bin ich nicht vom anderen Geschlecht? Oder was Leute alles für Träume haben. Ich merke, dass der Optimismus eine große Konstante in meinem Leben ist und dadurch natürlich auch in meinen Bildern.

wortstark: Ich frage mich allerdings, wie kommen Sie dazu, auch solche Dinge wie „die Angst“ zu verniedlichen? Ich habe hier ein konkretes Bild im Kopf… danke, dass ich es hier zeigen darf:

Angst
Zeichnung: Werner Tiki Küstenmacher, Gröbenzell

Wie können Sie so schlimme oder diffuse Sachen noch knuffig machen?

W.T. Küstenmacher: Ich kann schon verstehen, dass manche Leute das als Verharmlosung sehen. Auf der anderen Seite habe ich gelernt, dass es beim Negativen gut ist, es zu verobjektivieren, wodurch es viel von seiner diffusen Macht verliert.

wortstark: Wieso verobjektiveren? Das ist doch eigentlich eine Versubjektivierung, oder? Die Angst wird doch bei Ihnen ein Wesen, mit Hand und Äuglein? Wird sie nicht dadurch handhabbarer?

W.T. Küstenmacher: Das ist eine gute Frage. Es wird insofern ein Objekt, als ich es anschauen kann. Aber es hat auch einen subjektiven Charakter, da haben Sie Recht. Ich habe jedenfalls von Martin Luther gelernt, dass man den Teufel auslachen soll.

wortstark: Ui – das ist ja ein toller Punkt!

W.T. Küstenmacher: Das habe ich früh gelernt, denn ich kam mir als Kind immer als besonderer Schisser vor, wenn ich mich mit anderen Kindern verglichen habe. Ich war körperlich kein Muskelprotz, der Kleinste in der Klasse und so. Das hat mich wohl schon früh empfänglich gemacht für religiöse Vorstellungen – ich wollte mich gleich auf die gute Seite retten. Da lernte ich, dass man sich vom Bösen nicht kleinkriegen lassen, sondern den Teufel auslachen soll. Das ist auch bei alltäglichen Ängsten sehr hilfreich: bei Angst vor neuen Herausforderungen, Angst vor neuen Techniken, Angst vor einem neuen Beruf. Es gibt Leute, die wollen in solchen Situationen so gern zurück ins Alte, in die „gute alte Zeit“. Da hin zurück wollte ich nie. Wenn ich eine Entscheidung zu treffen hatte, bei der es darum ging, auf dem sicheren Alten sitzen zu bleiben oder etwas Neues zu wagen, habe ich immer die Zukunft gewählt. Das hat sich bewährt. Von daher versuche ich, diesen Optimismus weiterzugeben.

wortstark: Danke. – Kommen wir zum Konzept der Vereinfachung: Wenn ich so in Ihren Tageskalendern blättere, dann sehe ich ein riesiges inhaltliches Spektrum, was Sie im Rahmen der simplify-Reihe abdecken. Heute, am 9. März 2011, wird beispielsweise empfohlen, ein Basketballnetz über den Papierkorb im Kinderzimmer zu hängen, damit es den Kleinen spielerisch leicht fällt, ihren Müll zu entsorgen. Vorgestern gab es ein Rezept für Cornflakes-Kekse und gestern zitierten Sie den Medienkritiker Neil Postman und rieten dazu, für einen Monat bewusst die Hauptinformationsquelle zu wechseln und im Urlaub komplett auf Medienkonsum zu verzichten. Woher stammen eigentlich all die Themen und vor allem, all diese Tipps?

W.T. Küstenmacher: Ich weiß noch, als ich 1997 Simplify your life in den USA entdeckt habe. Da hat es bei mir „Klick“ gemacht und ich bin mit diesem Filter durch die Welt gelaufen „wo wird in unserem Leben etwas vereinfacht?“. Es war verblüffend: Wenn man mit so einem Aufnahmefilter durch den Alltag geht, entdeckt man unglaublich viel. Was Sie da zitiert haben, sind herrliche Beispiele. Irgendwer hat mir einmal erzählt, dass er in seinem Kinderzimmer den Basketball-Korb aufgehängt hat. Das habe ich aufgesammelt und wollte es weiterverbreiten. Das war die Geburtstunde von „simplify your life“. 1998 haben meine Frau und ich begonnen, einen Newsletter herauszugeben für den Verlag für die Deutsche Wirtschaft in Bonn. Die Zeitschrift sollte übrigens zuerst „Glücklicher und einfacher leben“ heißen –

wortstark: – so, da möchte ich ja gleich mal einhaken, denn das wäre natürlich sehr schön deutsch gewesen (lacht)… Sie wissen, ich setze mich für den Gebrauch der deutschen Sprache ein. Was passierte denn mit dem deutschen Titel?

W.T. Küstenmacher: Die Zeitschrift kam überhaupt nicht auf die Füße! Der Titel brachte es zwar auf den Punkt, war aber auch ein bißchen sperrig. Daraufhin hat der Verlag eine Telefonumfrage gemacht bei über 1000 Leuten und hat denen verschiedene Titel vorgelegt. „Simplify your life“ hat mit gigantischem Vorsprung gewonnen!

wortstark: War diese Umfrage in Deutschland, unter Deutschen?

W.T. Küstenmacher: Ja, hier in Deutschland. Und der Leiter der Umfrage hat mir erzählt, dass bei der Deutschen Bahn der Schalter im Eingangsbereich des Bahnhofs deswegen „service point“ heißt, weil dieses Wort ebenfalls vor allen anderen, deutschen Begriffen bei einer Umfrage gewonnen hat. Dieselben Leute beschweren sich dann darüber, dass wir so viele englische Begriffe haben. Ich habe an solchen Fällen jedenfalls gemerkt, dass wir mit einem neuen Begriff eine altbekannte Sache neu sehen. Mein Lieblingsbeispiel ist das Joggen. Ich war 1977 zum ersten Mal in meinem Leben in den USA und sah dort lauter Menschen in Trainingsanzügen durch den Park rennen. In Deutschland gab es das nicht in der Form. Als ich dann zurückkehrte, verbreitete sich das Joggen kurz danach auch bei uns. Das war ein verblüffender Vorgang: Laufen im Trainingsanzug konnten wir schließlich vorher schon …

wortstark: Eben! Da hieß es Dauerlauf!

W.T. Küstenmacher: Genau. Aber seit der Dauerlauf Jogging hieß, liefen bestimmt fünfmal mehr Leute als vorher. Hier wurde eine bekannte Sache mit einem neuen Begriff neu entdeckt. So ähnlich ist es mit simplify. Mir hat einmal eine Redakteurin einer Frauenzeitschrift gesagt, sie sei mir dankbar, denn mit simplify konnten sie einen neuen Themenbereich aufmachen. Hätten sie vorher einen Artikel geschrieben über das Putzen oder das Aufräumen von Schränken, hätten die Leserinnen protestiert: Was ist das für ein Hausfrauenmief? So ein das spießiges Thema! Aber seit sie es „simplify your Wohnung/ Küche“ usw. nennen konnten, waren die Leserinnen begeistert. Seit den 90ern gab es mehrere neue Zeitschriften, die etwas aus dem simplify-Gedanken gemacht haben, vor allem für weibliche Leser.

wortstark: Ach? Das ist direkt eine gute Frage: Wer ist eigentlich der Leserkreis von dieser ganzen simplify-Literatur? Oder müssen wir da unterscheiden nach simplify für die Finanzen, für den Garten, für die Wohnung …?

W.T. Küstenmacher: Wo wir es ziemlich genau wissen, sind die Leser des Beratungsbriefs – also nicht Newsletter – (lacht) von „simplify your life“, das ist ein monatlich erscheinendes gedrucktes Periodikum, das vom Verlag eher hochpreisig vertrieben wird. Männer und Frauen sind fast ausgeglichen, etwas mehr Frauen vielleicht. Aber es stellte sich heraus, dass wir Themen bringen, die beide gleich stark ansprechen. Von der Ausbildung her lesen es eher die Höhergebildeten, was aber auch mit dem Preisniveau zusammenhängt. Das Durchschnittsalter liegt so bei 41, 42 Jahren. Dabei sind viele junge Familien, und ein hoher Anteil von Selbständigen.

wortstark: … so wie ich. Bleiben wir doch gleich beim Selbständigen, wenn auch in anderer Weise: In welchem Maße schöpfen Sie aus Ihren eigenen Alltagserfahrungen, also gibt oder gab es das Basketballnetz über dem Abfallkorb wirklich bei Ihnen zuhause? Wenden Sie das auch alles selber bei sich an?

W.T. Küstenmacher:  Das meiste. Das Basketballnetz über dem Papierkorb hat es bei uns tatsächlich gegeben. Unser großer Sohn Simon hatte es bei sich im Kinderzimmer. Das Netz gab es damals übrigens für wenig Geld zu kaufen, als Aufsatz für die Papierkörbe im Büro, als Bürosport sozusagen.

wortstark: Werden die Empfehlungen eigentlich vor der Publikation von irgendjemand auf ihre Wirksamkeit getestet oder sagen Sie sich, „egal, schaden kann‘s ja nicht?“ Es geht ja ziemlich weit, was hier alles vorkommt. Wenn Sie bei „simplify für den Garten“ irgendetwas empfehlen, damit meinetwegen Fische im Teich mehr Sauerstoff bekommen, aber Sie haben selbst gar keinen Teich zu Hause, gibt es dann so eine Art TÜV in der Redaktion, der das alles testet? Was ist, wenn wir die falschen Sauerstoffblasen für die Fische machen, und dann sterben die?

W.T. Küstenmacher:  Wir haben zwar keinen TÜV, aber Gutachter, die die Texte begutachten und in speziellen Fällen selbst ausprobieren. Bei Gesundheitsthemen sind wir mittlerweile ein bißchen von diesem Weg abgekommen. In der Medizin gibt es das Phänomen, dass bestimmte Mittel bei einzelnen Menschen total gut helfen, bei anderen aber überhaupt nicht. Da haben wir uns mittlerweile auf die Seite der sogenannten Evidenzmedizin geschlagen. Wir verlassen uns nicht mehr auf Einzelergebnisse, sondern vertrauen nur Studien, bei denen genügend Personen einbezogen wurden. Selbst mit sehr breit angelegten Ernährungsempfehlungen kann man Schiffbruch erleiden.

wortstark: Beispiel?

W.T. Küstenmacher: Zum Beispiel dieses „Fünf am Tag“, dass man fünfmal am Tag Obst oder Gemüse essen soll. Das hatte die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfohlen. Aber jetzt hat sich herausgestellt, dass bestimmte Menschen in bestimmten Konstellationen so viel rohe Kost gar nicht vertragen. Da lernt man immer wieder dazu. Deswegen verlagern wir uns lieber mehr auf den mentalen Bereich, nicht so sehr auf den medizinischen.

wortstark: Apropos Themenbereiche: Es gibt so viele einzelne Schwerpunkte in der simplifiy-Reihe. Aber bisher keinen Bereich Kommunikation oder gar Unternehmenskommunikation. Ist da eigentlich mal etwas geplant? Sonst möchte ich das hiermit anregen …

W.T. Küstenmacher:  Gute Idee … (lacht) Ich werde das mal mitnehmen.

wortstark: Zum Ausgleich all der Übereinstimmung möchte ich jetzt gern mal ein paar kritische Töne einfließen lassen: Wie jedes starke Konzept, so ruft auch das Konzept der Vereinfachung geradezu nach einer kritischen Durchleuchtung. Die Devise „Decorate your life“ als Gegenbewegung der Raumausstatter ist noch die harmloseste, aber auch greifbarste Variante. Wesentlich diffuser aber dafür inhaltlich krasser ist der Ruf nach „complifiy your life“ von Leuten, die die Vielfalt des Lebens dadurch bedroht sehen, dass alles in farbige Körbchen, beschriftete Schachteln und drei bis zehnteilige Regel- und Rezeptkataloge gepresst wird. Auch die Liebe -„Simplify your love“- und sogar das Thema Gott wird von Ihnen vereinfacht, vor kurzem erschien Ihr Buch „Gott 9.0“, benannt im Duktus der Software-Entwicklung. Sehen Sie gar keine Grenzen für die Vereinfachung?

W.T. Küstenmacher:  Ich wende mich an die Menschen, die mit ihrem Leben unzufrieden sind. Die sagen, ich hätte es gern einfacher. Es gibt natürlich auch die anderen, die sind mit ihrem Leben vollkommen im Einklang, die wollen es gar nicht anders oder einfacher haben. Das ist nicht meine Zielgruppe. Es gibt auch Leute, die sind von sich aus sehr einfach und klar strukturiert, die brauchen auch kein simplify. Aber es gibt ein breites Mittelfeld von Menschen, die schauen ihren Schreibtisch an oder ihre Finanzen und sagen: Oh je – das hätte ich gerne anders! An diese Menschen wende ich mich und bringe ihnen die frohe Botschaft: Ihr müsst keine anderen Menschen werden, sondern ihr braucht einfach nur die richtigen Methoden, die richtigen Werkzeuge. Aus diesem eher sachlichen Bereich komme ich. Dadurch jucken mich solche Vorwürfe „man kann doch nicht alles vereinfachen!“ wenig. Ich weiß aus meinem eigenen Leben, dass es solche Bereiche gibt. Zum Beispiel die Partnerschaft. Ich bin mittlerweile auch abgekommen von diesem „Männer sind vom Mars und Frauen sind von der Venus“. Dass es also Grundkonstanten gibt, Männer so und Frauen so. Das halte ich mittlerweile für eine nicht vertretbare Vereinfachung.

wortstark: Warum?

W.T. Küstenmacher:  Weil Menschen sehr entwicklungsfähig sind. Auch Machos und Zicken. Was Partnerschaft angeht, habe ich folgendes Bild: Eine komplizierte Großstadt lässt sich nicht vereinfachen. Aber Sie können sich einen Stadtplan kaufen. Das wollen wir leisten, damit sich die Menschen in diesem manchmal echt verrückten Land der Liebe besser zurechtfinden. Dieses Bild gilt auch für unser neues Buch „Gott 9.0“.

Gott 9.0Wir vereinfachen nicht Gott, sondern wir geben euch ein Werkzeug, mit dem ihr sehen könnt: Auf welcher Stufe eures Bewusstseins steht ihr? Was für ein Gottesbild habt ihr gerade?

wortstark: Müsste es dann nicht „Gottesbild 9.0“ heißen?

W.T. Küstenmacher:  Ja und nein. Mit dem Gottesbild ändert sich auch real die Vorstellung von Gott, weil man in jeder Stufe überzeugt ist, dass Gott so ist wie unser Bild von ihm. Das ist schon eine relativ hohe Stufe des Bewusstseins, dass ich erkenne, ich habe nur ein Bild von Gott, Gott selber werde ich nie erreichen. Man ist auf der blauen Stufe zum Beispiel vollkommen davon überzeugt, dass Gott ein Mann ist und männliche Eigenschaften hat. Erst in der nächsten Stufe hinterfragen wir das und merken, dass Gott viel größer ist. An diesem Stufenkonzept in „Gott 9.0“ möchten wir darstellen, dass Vereinfachung heißen kann, dass etwas größer wird. Landläufig denken ja viele Leute bei dem Wort Vereinfachung, dass etwas kleiner wird: Jetzt muss ich in eine kleinere Wohnung. Ich schmeiße viel weg, danach habe ich nur noch einen Schrank statt drei. Aber Vereinfachung kann auch eine große Erweiterung unseres Bewusstseins bedeuten.

wortstark: Das würde sogar mit der Wohnung übereinstimmen, denn wenn Sie vorher drei Schränke auf dem gleichen Wohnraum hatten und danach nur noch einen, wirkt und wird die Wohnung ja wirklich größer!? Sie gewinnen mehr Lebensraum.

W.T. Küstenmacher: Genau! Und die Wohnung ist ja nur ein Symbol. Hier habe ich Karen Kingston sehr viel zu verdanken. Von ihr habe gelernt, dass unsere Wohnung, unser Auto, unser Schreibtisch, symbolische Verbindungen hat zu unserer Seele. So wie unser Schreibtisch ausschaut, so schaut es auch in unserem Kopf aus. Der Kleiderschrank stellt eine Verbindung dar zu meiner Körperlichkeit, und so weiter.

wortstark: Dann geht das doch alles über das Methodische wieder deutlich hinaus? Von wegen nur der Stadtplan? Wenn ich begreife, dass ich mir meine Welt um mich herum so schaffe wie ich innen drin ausschaue, dann wird das doch richtig tiefgründig?

W.T. Küstenmacher:  Ja. Es wird aber gleichzeitig auf der einen Seite tiefgründig und auf der anderen Seite bekommt die Seite meiner Persönlichkeit, die ich vorher vielleicht nicht richtig anpacken konnte, einen Henkel.

wortstark: (lacht) Ha! Die Persönlichkeit bekommt einen Henkel! Das gefällt mir! Haben Sie das schon mal irgendwo so gesagt?

W.T. Küstenmacher: Ne, habe ich glaube ich nicht. Karen Kingston hat immer betont: Es ist nicht egal, wie du herumläufst und wie dein Schreibtisch ausschaut, sondern das ist die Außenseite deiner Innenseite. Das bedingt sich gegenseitig.

wortstark: Hm. Das haben Sie wirklich sehr auf den Punkt gebracht und wir sind jetzt ganz schön tief gegangen, Herr Küstenmacher. Sind Sie denn eigentlich bei Ihrer ganzen Arbeit am Menschen nicht auch irgendwo Theologe geblieben? Sie haben ja auch vorhin von „froher Botschaft“ gesprochen, als es darum ging, dass jeder so bleiben kann wie er ist? Was ja übrigens für mich – ich bin ja auch gläubig – auch ein ziemlich starkes Zeichen von Liebe ist, weil ich den anderen damit so annehme wie er ist? Und die Wohltaten, die Sie den Menschen in die Hand geben … das ist ja fast schon einbißchen missionieren, im Positiven?

W.T. Küstenmacher:  Absolut. Das haben Sie schon richtig gefühlt. Ich verwende solche Formulierungen wie „frohe Botschaft“ bewusst zweideutig, mit einem Augenzwinkern. Und ich glaube auch, dass simplify so einen großen Erfolg hat, weil es nicht nur eine plumpe Methodenlehre ist, sondern mehr dahinter steckt. Das ist ganz wunderbar, dass Sie das Wort Liebe hier einbringen: Nächstenliebe, Menschenliebe, Kundenliebe, Mitarbeiterliebe … Es gibt ein schönes Wort von Augustinus: „Liebe und tu was Du willst“. Das Wesentliche ist, dass du ein liebevolles Verhältnis hast zu dem, womit du dich befasst. Wenn ein Produktentwickler sein Produkt liebt, ein Kundenberater seine Kunden, wenn ein Mitarbeiter seinen Chef oder seine Chefin liebt, ist das gut. Man kann das nicht befehlen, aber man kann darauf hinarbeiten. Wenn diese Liebe nicht da ist, wenn Sie sie in sich nicht spüren, nicht in den anderen, nicht an Ihrer Arbeitsstelle, dann sage ich: „Geht weg. Geht dorthin, wo man euch besser behandelt und ihr eure Liebe anderen Menschen geben könnt.“ Ich finde es schrecklich, wie viele Menschen in solchen lieblosen, manchmal sogar hasserfüllten Umgebungen bleiben, obwohl sie dort leiden. Ich kenne viele Menschen, die auch im hohen Alter ihr Leben neu gestalten und neu anfangen konnten. Ich versuche immer, falsche Träume zu enttarnen: Wenn ich erst im Lotto gewinne, wenn ich erst den Superpartner finde, wenn ich erstmal diesen Scheißjob nicht mehr machen muss … Da sage ich: Nein, klammert euch nicht an solche fernen, unwahrscheinlichen Träume. Nutzt die Möglichkeiten, die ihr heute schon habt und morgen verwirklichen könnt.

wortstark: Das wäre ein schöner Schluss-Satz. Doch gibt es sonst noch etwas, was Ihnen wichtig ist? Dann möchte ich dafür hier Raum geben …

W.T. Küstenmacher: Es ist interessant, dass es das Wort „to complifiy“ nicht gibt. Aber es gibt schon so eine Art „Gegenbücher“ zur simplify-Reihe. Eines heißt „It´s my life“ und hat auch einen Schmetterling drauf. Oder „Unaufgeräumt und trotzdem glücklich“, so in der Art. Das ist nett, dass es so ein Buch gibt, aber andererseits, wer sollte das lesen? Wenn ich unaufgeräumt bin und es bleiben möchte, kann ich das auch ohne Buch. Es gibt sogar eine echte Satire, die heißt „simplify your wife“. Dieses Büchlein setzt sich mit Ratgebern allgemein auseinander. Das geht mir selber so, dass ich manchmal denke: Mensch, jetzt gibt es Ratgeber für Dinge, die wirklich selbstverständlich sind.

wortstark: Das meinte ich ja. Dass für alles wieder irgendwelche Farbsysteme und Kästchen gibt… das nervt doch… und müsste selbst wieder vereinfacht werden, zurückgebracht auf das Wesentliche.

W.T. Küstenmacher:  Ja. Aber der simplifiy-Trend an sich, die Vereinfachung, ist ein Megatrend. Es gibt Firmen, die besser nach vorne gekommen sind, weil sie es ihren Kunden leichter gemacht haben, zum Beispiel Philips mit seinen Geräten, die nach dem Slogan „ sense and simplicity“ entwickelt wurden, während Sony auf immer noch mehr technische Spielereien setzte. Ich habe eine Fernbedienung von Sony, die hat 52 Tasten, ist sogar zum Aufklappen, damit so viele Tasten draufpassen! Damit können die heute nicht mehr punkten. Ein anderes positives Beispiel ist O2. Die kamen in einen vollkommen überfüllten, ausgereizten Markt hinein, und konnten trotzdem Marktanteile gewinnen mit einem besonders einfachen und flexiblen Tarifsystem. Oder InterHyp: Die werben mit dem Spruch „ich bin 100 Banken“ und verzeichnen große Zuwächse. Deren Leistung besteht darin, den sehr komplexen Markt der Kreditvergeber zu vereinfachen. Das wissen die Kunden zu schätzen. Diese Einfachheit ist menschenfreundlich.

wortstark: Danke, Herr Küstenmacher, für dieses einfach wunderbar menschenfreundliche und in jeder Hinsicht reichhaltige Gespräch!

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