Einen guten Anfang machen: Warum Knigge heute aktuell ist

Liebe Leserinnen und Leser,

in zweifacher Hinsicht widme ich mich zur Zeit dem „Anfang“: Das neue Jahr hat angefangen und ich möchte es bewusst, gesund und erfolgreich gestalten. Zweitens: Seit Dezember zähle ich erstmals Azubis zu meinen SeminarteilnehmerInnen. Ich habe und ergreife hier die wunderbare Chance, gleich mal den EinsteigerInnen eine Steigbügelhilfe in die Welt der Unternehmenskommunikation zu bieten. Sonst höre ich zum Beispiel nach E-Mail- oder Telefontrainings aus der berufserfahrenen Runde häufig den Satz: „Wenn mir das mal einer früher gesagt hatte…“. Da doch viele von uns den ganzen Tag telefonieren und digitale Post versenden, hat so eine Aussage Gewicht. Und jetzt kann ich endlich mal vorbeugend bei den jüngsten MitarbeiterInnen anfangen, vom Alter her und von der Berufserfahrung. Klasse!

Im Rahmen dieser Azubi-Ausbildung habe ich mich jüngst gezielt mit dem „ersten Eindruck“ auseinandergesetzt, der sowohl im Bereich der Rhetorik verortet werden kann also auch im speziellen Feld der gesellschaftlichen Etikette und des guten Benehmens. Als Experten hierzu befragte ich Alfred F. Schmidt, jenen Münchner Benimm-Trainer, bei dem ich vor Jahren selber meinen ersten Knigge-Kurs besuchte. Er wird Ihnen im Interview gut merkbare Leitlinien für zeitgemäßes Benehmen geben und die Hintergründe aufzeigen.

Doch brachte mich der Benimm-Experte auch darauf, mich mal näher mit dem Ursprungswerk des Adolph Freiherr von Knigge (1752 – 1796) zu befassen, der im Jahr 1788 das Buch „Über den Umgang mit Menschen“ verfasste. Und dieses Buch und sein Autor haben mich wirklich schwer fasziniert. Wussten Sie, dass Knigge ein radikaler Aufklärer war, beim Geheimbund der Illuminaten genau wie sein Zeitgenosse Goethe, weil dort Meinungsfreiheit herrschte und er offen für die Abschaffung von Monarchie, Privateigentum und Religion eintreten konnte? Dass er das adelige „von“ aus seinem Namen strich und sich in Anlehnung an seinen Titel „Freiherr“ nur noch „der freie Herr Knigge“ nannte?

Ich nahm immer an, Knigge sei ein obrigkeitshöriger, verknöcherter Benimmpapst gewesen, die Verkörperung der Spaßbremse schlechthin, der eine Art Gesetzbuch des affektierten Benehmens schrieb. Falsch! Stattdessen wollte er den Menschen der unteren Stände helfen, sich am Hof ihrer Landesfürsten zurechtzufinden und sich Gehör für ihre Anliegen zu verschaffen. Bis dahin blitzten die einfachen Bürger bei Hofe nämlich schnell durch ihre Unkenntnis der gesellschaftlichen Etikette ab und scheiterten meistens schon an den Pforten und „Vorzimmern“, bevor sie überhaupt zum Fürsten vordringen konnten.

Und hier schließt sich der Kreis zum Jahr 2011, denn diese Gefahr besteht in ähnlicher Weise auch heute für Menschen in Unternehmen, ob sie nun zum Bewerbungsgespräch gehen, an die oberen Entscheiderebenen mit einem Anliegen herantreten oder schlichtweg in der Hierarchie aufsteigen möchten. Die Formulierung hierfür ist im 21. Jahrhundert „kann sich (nicht) auf gesellschaftlichem Parkett bewegen“. Und diese Fähigkeit ist heute genauso gefragt wie einst, sie ebnet heute genauso den Weg wie damals.
Was ich am Original-Knigge besonders schön finde: Er weist immer wieder darauf hin, dass es nicht nur um schnödes Zweckdenken geht und beschreibt seine Vision vom großen Glück und der großen Freude der Menschen, die höflich und rücksichtsvoll miteinander umgehen. Das gute Entrée, der kultivierte Umgang miteinander ist nicht nur Mittel zum Zweck, das Ganze macht Spaß.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen guten Anfang, egal was Sie 2011 vorhaben und viel Spaß beim Lesen des nachfolgenden Gespräches.

Ihre Annette Hartmann

Gutes Benehmen als Eintrittskarte für die Karriere

wortstark: Herr Schmidt  – Sie sind von Ihrer Ausbildung her Diplom-Kaufmann und arbeiten als „Benimm-Trainer“. Wie kam es zu dieser Spezialisierung? Gab es hierfür ein Schlüsselerlebnis: Sind zum Beispiel Sie selber oder Menschen in Ihrem Umfeld besonders oft oder besonders selten ins Fettnäpfchen getreten?

Alfred F. Schmidt: Ich bin nicht in ein großes Fettnäpfchen getreten, sondern es war ganz anders: Ich fing im Alter von 15 Jahren mit dem Tanzen an. Da hatte ich meinen ersten Benimmunterricht – übrigens bei einem alten Herrn, einem Herrn Matschek. Der hatte einst auch Heinz Rühmann das Tanzen beigebracht. Mit 16 Jahren las ich bei meiner Großmutter das erste Benimmbuch – sehr interessant. Etwas später auch den Original-Knigge, nur der war für mich als Jugendlicher doch eher zu trocken. Viele Jahre später erzählte mir meine Partnerin, dass sie vor 10 Jahren bei der Sparkasse ein Benimmtraining mitgemacht hatte. Und da dachte ich mir: Das Thema kenne ich, Seminare biete ich bereits nebenbei an… das würde mir doch viel Spaß machen!? Zwei Monate danach ging es dann schon los, bei einer Münchner Versicherung. Und seit Jahren bin ich nun auch genau in dieser Sparkasse tätig.

wortstark: Nachfrage bitte: In welcher Richtung hatten Sie vorher Seminare gegeben?

Alfred F. Schmidt: Zu betriebswirtschaftlichen Themen wie Buchführung, Personalbuchhaltung und auch Ökobilanzen. Das war somit eine ganz andere Ecke.

wortstark: Gehen wir zum Knigge über. Der aristokratische Adolph Freiherr von Knigge ist ja schon im Jahr 1796 gestorben, das ist jetzt genau zweihundertfünfzehn Jahre her. Da stelle ich doch gleich mal die ketzerische Frage, was ein Mensch in unseren modernen Zeiten von Höflichkeit und guten Umgangsformen hat, vor allem in der Unternehmenskommunikation?

Alfred F. Schmidt: Die Empfehlungen, die im Buch stehen, galten erstmal nur für uns Männer. Nicht für die Frauen. Denn die hatten feine Damen, die sie fragen konnten. Die Männer hatten niemanden, deswegen mussten die in ein Buch schauen. Das ist das eine.
Das andere ist, dass in diesem Original-Knigge nichts drinsteht, wie man sich zum Beispiel bei Tische benimmt, aber ein paar Seiten über den Umgang von Gast und Gastgeber. Was wir heute übernehmen können, ist der respektvolle Umgang miteinander und mit sich selbst. Wir haben heute auch keinen Hof mehr, und fast alle keinen Umgang zwischen Diener und Herr. Wir haben noch Eheleute und Verliebte, und Umgang mit Freunden, Nachbarn oder zwischen Lehrern und Schülern – okay, das haben wir noch, aber da ist es besser, man liest die Knigge-Bücher der Nachfahren. Im Original stand nämlich nicht, wer wen als erstes durch die Tür gehen lässt oder wer wen zuerst grüßt. Gutes Benehmen ist ja im Endeffekt nichts anderes als respektvoller Umgang.
Es ist mir egal, ob Sie wissen, wie man die Gabel exakt hält. Es ist für mich viel wichtiger, dass Sie mit mir respektvoll umgehen und wir gute Geschäfte machen, bei denen wir beide gewinnen und ich nicht stilvoll über den Tisch gezogen werde. Nur will manch einer gerne respektvoll mit seinem Gegenüber umgehen, weiß aber nicht, wie er die Tür aufzuhalten hat. Und dann ist so ein Buch oder ein Seminar gut.

wortstark: Also haben die Benimmbücher so eine eigene Geschichte hinter sich…?

Alfred F. Schmidt: Ja. In den 70er Jahren wurden die jeweiligen Benimmregeln zum Beispiel gerne anhand von Geschichten beschrieben, also „Susanne geht durch die Stadt“ und trifft verschiedene Leute, kommt in verschiedene Situationen. Damals wurde das mehr im Zusammenhang vermittelt. Heute gibt es Benimmbücher als Nachschlagewerk, mit einzelnen Kapiteln wie „Sich bekannt machen, Visitenkartenübergabe“ und so weiter.

wortstark: Tja, das geht dann schneller zu finden, heute, mit Stichwortverzeichnis…

Alfred F. Schmidt: Genau. Ich habe hier übrigens gerade mein erstes Benimmbuch in der Hand. „Der gute Ton in allen Lebenslagen“ von Irmgard Wolter. 490 Seiten! Da gibt es Kapitel wie „die seelisch-geistige Kultur“. Aber auch „der rechte Gruß zur rechten Zeit“, „wir machen einen Besuch“, „die praktische Hausfrau“. Das gibt es so in der Form heute nicht mehr, das wäre fast schon diskriminierend, stattdessen heißt es heute „Gastgeberrolle“. Genauso wie die Speisekarte ohne Preise heute nicht mehr „Damenkarte“ heißt, sondern „Gästekarte“.

wortstark: Wenn es da so einen ständigen Wandel gibt, wie halten Sie sich als Benimmtrainer denn auf dem Laufenden?

Alfred F. Schmidt: Es gibt zum Beispiel die Zeitschrift „Stil und Etikette“, die gibt auch eine Lose-Blatt-Sammlung heraus. Ich war später dort sogar im Leserbeirat und durfte dann vor der Veröffentlichung mitdiskutieren.

wortstark: Wäre das etwas für unsere LeserInnen? Gibt es das noch?

Alfred F. Schmidt: Ja, aber das ist zu umfangreich, es gibt alle zwei Monate 50 neue Seiten. Das würde ich nicht empfehlen. Ich rate hier mehr zu den Büchern zum Beispiel von Elisabeth Bonneau, die finde ich wunderbar. Die Frau ist übrigens auch über Umwege zum Benimmthema gekommen, sie war Lehrerin und hat Zeitmanagement-Seminare gemacht, in Hotels. So hat jeder seine eigene Geschichte.

wortstark: Kommen wir zum Kern des heutigen Themas: Könnten Sie eine Daumenregel oder ein paar wenige Leitlinien formulieren, die uns heute dabei helfen, uns gemäß der gesellschaftlichen Etikette zu verhalten?

Alfred F. Schmidt: Es gibt eine Daumenregel, mit der man sehr viele Situationen im beruflichen Leben meistern kann, sei es das Grüßen – alles ohne Berührung beziehungsweise ohne die Hand zu geben – oder das Begrüßen, mit beispielsweise Handschlag, durch die Tür durchgehen, Treppe gehen. Immer geht es nach der gleichen Regel: Wer hat die Krone auf? Im betrieblichen Umfeld ist es völlig egal, ob alt oder jung, Mann oder Frau, sondern da geht es immer nur darum: Wer ist der Chef? Wer ist der Abteilungsleiter oder der Vorstand? Bin ich darüber oder darunter? Wenn ich darunter bin, sollte ich immer als erstes grüßen und er hat die Krone auf, deshalb darf er mir wiederum als erstes die Hand geben. Es ist trotzdem dem Vorstand selbstverständlich erlaubt, auch zuerst seine Mitarbeiter zu grüßen, das ist kein Fauxpas, aber die Regel wäre es nicht.

wortstark: Wenn ein Vorstand trotz seiner Vorrangstellung so was macht, bringt er doch eigentlich seine Mitarbeiter in ein blöde Situation?

Alfred F. Schmidt: Es kann ja auch mal sein, dass der andere mehr Zeit hat, mich zu erkennen und deshalb mich als erstes grüßt. Aber es sollte nicht vorkommen, dass ständig der Chef mich zuerst grüßt. Das wäre schon peinlich. Aber ich darf ruhig als alter Mann eine junge Frau als erstes grüßen, auch wenn die junge Frau mich eigentlich zuerst grüßen müsste.

wortstark: Somit kommen wir zum Alter…

Alfred F. Schmidt: Ja. Wenn keine Rangunterschiede bestehen, geht es danach: Wer ist der deutlich Ältere? Dann hat er oder sie die Krone auf. Und sind wir alle gleichrangig und gleich alt, dann gilt die „Ladies-first-Regelung“. Dann würde die Dame die Krone aufhaben und der Herr würde die Dame zuerst grüßen.
Jetzt können wir uns noch überlegen, ob wir in diesem Text von Damen und Herren oder von Frauen und Männern sprechen. Es gibt Frauen, die finden den Begriff „Dame“ schlecht. Die mögen den nur auf einem Ball.

wortstark: Hm. Kommt generell auf den Kontext an, oder? Ich persönlich finde „Dame“ nett, das klingt doch irgendwie wertschätzender als „Frau“…? Aber „Frau“ klingt natürlicher…

Alfred F. Schmidt: Ja. Ich gehe sicherlich mit der Frau zum Einkaufen, aber mit der Dame gehe ich aus. So gibt es die Damenwahl, aber auch Frauenfußball und Hockeydamen. Der Deutsche Knigge-Rat hat dazu Stellung genommen.

wortstark: Also bitte, dann hören wir das doch gleich…

Alfred F. Schmidt: Er empfiehlt, nicht von „Damen“ zu sprechen, weil sich manche Frauen dadurch erniedrigt fühlen –

wortstark: – Was? Wieso erniedrigt?

Alfred F. Schmidt: So in dem Sinne von ganz früher: „Na ja, die Dame, das kleine Hascherl, die ist ja nicht selbständig, die braucht einen Herrn, der ihr die Tür aufhält und der ihr das Essen bestellt beim Ober“ …

wortstark: Au weia, dann muss ich ja jetzt direkt als betroffene Person mal in mich gehen und nachdenken, warum ich mich bisher bei „Dame“ nicht diskriminiert gefühlt habe! (lacht)
Ich empfinde spontan „Dame“ als das Höhere! Aber beim Einkaufen, das sehe ich auch so wie Sie, da fühle ich mich auch mehr als Frau und nicht als Dame. Aber Sie kommen ja auch vom Tanzen her, und da führt der Herr die Dame und nicht der Mann die Frau. Das geht ja gar nicht! Das wäre ja so, als stünden die da in Badeschlappen auf der Tanzfläche herum, ganz unromantisch… (lacht)

Alfred F. Schmidt: Ja eben! (lacht) Deswegen spreche ich in meinen Seminaren auch immer von Dame und Herr. Ich müsste eigentlich sagen Frau und Mann. Dafür sind die Beiräte ja da, dass sie etwas Neues anregen, also, warum auch nicht… aber ich verwende meist die Worte halt anders. Wen es näher interessiert:
http://www.stil.de/knigge-tipps/index.php3?id=1853&archiv=1&rubrik=1

wortstark: Okay, das betrifft das Thema Anrede, auch ein Knigge-Thema, aber ich fasse noch mal die Grundregel zusammen für die Reihenfolge: Zuerst kommt der hierarchische Rang, dann das Alter, dann das Geschlecht. Das war´s. Oder kommt da noch etwas dazu?

Alfred F. Schmidt: Nein, das ist die Hauptregel. Damit kann man so viele Situationen meistern. Ob ich nun Getränke einschenke: Erst dem Chef, dann den anderen. Die Tür aufmachen. Visitenkarten übergebe ich als Rangniedrigerer dem Ranghöheren, außer ich stelle mich irgendwo vor, dann fängt der an, der gekommen ist.

wortstark: Aber das ist doch nochmal eine eigene Frage, wer die Initiative hat?

Alfred F. Schmidt: Stimmt, aber das ist auch einfach: Wer neu hereinkommt oder zu einer Gruppe dazukommt, der grüßt, und zwar egal, ob er Vorstand ist oder nicht. Er signalisiert damit „ich will Euch nichts Böses“. Deswegen nimmt er Hut (früher Helm) und auch Handschuhe ab, damit man wie früher sah, dass er keine Waffen hat. Und heutzutage macht er die Zigarette aus, wenn er einen Raum oder Haus betritt und nimmt auch den Kaugummi heraus, bevor er einer Gruppe gegenübertritt.

wortstark: Okay, danke, das sind ja klare Regeln. Nun gibt es aber manchmal kniffelige Situationen in der alltäglichen Arbeitswelt. Ich entwickle zurzeit eine neue umfassende Kommunikationsausbildung, wo auch ein kleines Knigge-Modul vorkommt. Schauen Sie bitte die Fotos an, die ich hierzu aufnehmen ließ.

Ich hatte festgestellt, dass das Aufhalten von schweren Türen Ratlosigkeit bei allen Beteiligten erzeugt. Mann oder Frau muss sich mit aller Kraft gegen solche Feuerschutztüren stemmen, um sie überhaupt zu öffnen und ist weit davon entfernt, sie auch noch für andere aufzuhalten. So ungefähr sieht das Aufstemmen aus…

Selbst ein kräftiger Mann würde so etwas nicht von hinten seitlich schaffen. In dem Fall muss der Rangniedrigere dann doch vorgehen, oder? Und wo stellt er sich danach am besten hin, damit die andere Person gut an ihm vorbei und durch die Tür kommt oder sie danach wieder vorgehen kann?

Welches der beiden nachfolgenden Fotos ist richtig?

Alfred F. Schmidt: Also an dem zweiten Bild interessiert mich erstmal, ob die Frau schon durchgegangen ist oder nicht? Er weist ihr den Weg, aber in die falsche Richtung?

wortstark: Nein, (lacht), er will sie mit der Geste nur zum Durchgehen einladen.

Alfred F. Schmidt: Wie ein griechischer Restaurantbesitzer, der die Leute reinwinkt? Eigentlich sollte er ihr lieber den Weg weisen, wo sie hin soll, wenn überhaupt. Aber kommen wir mal zur schweren Tür. Sie haben natürlich Recht, die kann er gar nicht von hinten aufhalten. Deswegen kann es sinnvoll sein, tatsächlich durchzugehen und dann aufzuhalten. Und zwar so wie auf dem rechten Foto, denn sonst kann sie über seine Schuhspitzen stolpern und er verengt den Durchgang. Das rechte Foto ist passender, auch wenn er ein bißchen da steht wie das Empfangspersonal vom Ball oder eines Firmengebäudes. Aber er lässt ja auch seine Chefin durchgehen, denn wenn hier kein solcher Rangunterschied bestünde, wäre er ja der Viel-Ältere und dann müsste sie ihm die Tür aufhalten.

wortstark: Aber wie ist das jetzt mit der Regel „der Mann ist der Stärkere“? So eine Tür ist echt sehr schwer?

Alfred F. Schmidt: Ne, ne… Ihr Frauen wollt gleich stark sein… (lacht). Außerdem schafft die Frau es doch, wenn sie alleine ist, auch…

wortstark: (lacht) Das ist doch genau der Punkt: Wann gilt jetzt was?

Alfred F. Schmidt: Es gilt die Hauptregel, die ich oben gesagt habe: Wenn er der Chef ist und sie die Sekretärin, dann hat sie ihm die Tür aufzuhalten. Wenn er natürlich schneller ist und das gerne macht, dann ist das halt so. Oft wird es dann kompliziert, denn wenn sie es nicht annimmt, und sagt „bitte nach Ihnen“ und er sagt dasselbe, gibt es einen Stau.

wortstark: Genau! Diese Unklarheit erlebe ich in der Praxis ganz oft! Dieser Ärger mit den Türen, jedenfalls mit diesen schweren Türen, da weiß doch nie einer, wann er vorgehen darf!?

Alfred F. Schmidt: Deswegen ist das Einfachste, es so zu machen wie es empfohlen wird: Sie geht durch, Türe links, ganz lässig, sie hält auf und lässt ihn durchgehen, wenn er der Chef ist. Aber man kann jedenfalls nicht jemandem so eine schwere Tür aufhalten und gleichzeitig den Vortritt lassen. Das geht nicht. Gutes Benehmen soll unverkrampft sein und das Miteinander erleichtern und keine Verrenkungen und keinen Stau erzeugen.

wortstark: Gut. Und diese Vorstellung vom Stärkeren gibt es also nach Knigge gar nicht?

Alfred F. Schmidt: Die Frau geht abends ins Fitness-Studio und stemmt mehr als er…?

wortstark: (lacht) Hab ich bisher zwar nicht erlebt, aber okay! Kommen wir gleich zum nächsten heiklen Thema: Den Treppen. Früher hieß es, der Mann dürfe die Fesseln einer Frau beim Treppensteigen nicht sehen. Ersetzen wir heute mal den Reiz der entblößten Fesseln durch einen Blick unter den Rock oder auf den Hintern direkt vor seinen Augen. Andererseits soll der Mann auf einer Treppe stets unterhalb der Frau laufen, damit er sie auffangen kann, wenn sie stürzt. Was denn nun? Hat ein Mann für Sie mehr Potenzial zum Lustmolch oder zum Lebensretter? Was raten Sie beim Treppensteigen?

Alfred F. Schmidt: Eine Treppe ist in der Regel nicht so schmal, dass nur eine Person durchpasst – …

wortstark: … – Man weiß bloß nicht, ob von oben noch einer kommt, oder? Sagen wir mal, sie müssen auf jeden Fall hintereinander hergehen. Was dann?

Alfred F. Schmidt: Im Geschäftsleben hat der Ranghöhere zwar den Vortritt, auf der Treppe geht es aber darum, dass der Rangniedere den Ranghören auffangen kann. Deshalb geht der Rangniedere hinter dem Chef die Treppe hinauf und hinunter geht er eben vor dem Chef, um ihn notfalls zu stützen oder irgendwieaufzufangen.
Auf einem Ball geht es immer darum, dass der Herr die Dame auffangen könnte: Nach oben hinterher, hinunter voraus.
Aber wenn die auf der Treppe nach oben vorangehende Person das Gefühl hat, dass die nachfolgende Person ihr auf den Po schaut – das kann ja auch die Sekretärin sein, die prüft, ob ihr Chef eine am Po gut sitzende Hose trägt? (lacht), dann kann derjenige durchaus sagen, „Gehen Sie doch bitte voraus“.

wortstark: Aha. Übrigens tragen die Männer ja meistens Kleidung, wo frau nichts sieht, da hat also die Sekretärin wohl eher keine Chance auf tolle Blicke in Richtung Hintern ihres Chefs. Aber Frauenkleidung ist schließlich grundsätzlich durchsichtiger.

Alfred F. Schmidt: Mittlerweile werden die Sakkos ja wieder kürzer (lacht), aber das ist schon richtig, bei Frauenkleidung sieht man mehr. Aber die ganze Frage für mich ein Widerspruch: Einerseits tragen die Frauen Kleidung, wo man sieht, ob sie am Bauch rasiert sind oder nicht und welche Art von Unterwäsche sie tragen und dann soll es plötzlich ein Problem sein, wenn sie auf der Treppe vorne läuft und der Mann schaut ihr auf den Po.

wortstark: Wir sind jetzt aber im Geschäftsumfeld unterwegs und nicht auf der Rolltreppe in der Innenstadt. Ich glaube, in den Foyers der Firmen laufen solche Frauen nicht herum, oder?

Alfred F. Schmidt: Stimmt. Aber manchmal frage ich mich durchaus im Geschäftsleben, warum Frauen dort Hosen tragen, die so derart hauteng sind und die Blazer gehen auch oft nicht mehr über den Hintern. Da stimmt manches nicht ganz zusammen.

wortstark: Das nehme ich jetzt einfach mal für mein Geschlecht mit einem deutlichen Ausrufezeichen zur Kenntnis. Ansonsten finde ich jetzt schon ganz interessant, dass das mit dem Auffangen noch gilt, aber im Geschäftsleben nur nach dem Rang. Kann ich mir gut merken: Der Mensch, der in der Hierarchie weiter oben steht, ist auch auf der Treppe eine Stufe höher und der Untere puffert den Chef oder die Chefin – wie ich echten Leben…

Alfred F. Schmidt: Ja. Wobei ich noch nie erlebt habe, dass eine Frau beim Treppensteigen hinfällt, und beim Hinaufgehen fällt sie ja eher nach oben als rücklings, wo der Mann steht.

wortstark: Dann bin ich jetzt die Ausnahme zur Regel: Ich fiel neulich im Treppenhaus bei mir daheim die Treppen herunter. Einfach mit dem Absatz im Hosenbein hängen geblieben und dann ging’s ein paar Stufen abwärts. Ich war alleine und habe mich Gott sei Dank reflexhaft am Geländer festgehalten, so dass ich mir zwar fast die Schulter ausgekugelt hätte, aber dafür sind die Schneidezähne noch drin.
Mit diesem kleinen persönlichen kniggefreien Fehltritt komme ich zur offenen Frage: Wenn Ihnen aus Ihrem Kontext noch etwas einfällt, was hier nicht angesprochen wurde, aber Ihnen wichtig ist, dann finden Sie hier Raum dafür.

Alfred F. Schmidt: Ich wurde vor kurzem von Antenne Bayern interviewt und da ging es um die Frage, wie lange man „Gutes neues Jahr“ wünscht…

wortstark: Und? Wie lange wünschen Sie es noch?

Alfred F. Schmidt: Bis Mitte Januar, allerspätestens bis Ende Januar. Wobei jemanden Glück, Gesundheit und Erfolg für das Jahr zu wünschen ist doch etwas Nettes und somit eigentlich immer möglich.

wortstark: Andere Frage: Was wünschen Sie sich, in Ihrer Rolle als Benimmtrainer, für 2011? Was sollen die Menschen Ihrer Meinung nach machen?

Alfred F. Schmidt: Ich würde mir einen insgesamt rücksichtsvolleren Umgang wünschen. Und zwar ohne Hintergedanken. Ich würde mir wünschen, dass der Hausmeister nicht erst gegrüßt wird, wenn der Kopierer nicht geht, sondern schon vorher. Ich wünsche mir, dass gegrüßt wird, nicht weil es irgendwelche Regeln gibt, sondern weil es für alle den Tag besser macht.

wortstark: Und ich schließe mich Ihnen an mit dem Gedanken, dass gutes Benehmen den Tag besser macht, und auch jeden anderen Start, auch den Start in das neue Jahr. Vielen Dank für dieses spannende Interview, Herr Schmidt!

Alfred F. Schmidt

Sie erreichen Alfred F. Schmidt unter
Tel: 089 – 3071716
E-Mail: benimm-trainer@web.de

Links zum Thema:
Tipps zur Garderobe im Geschäftsleben:
http://www.merkur-online.de/lokales/landkreis-muenchen-nord/schlimmsten-kleidungssuenden-16963.html

Tipps zu Veranstaltungen und Silvesterfeier:
Tipps zu Tischsitten und Tanz:
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/knigge-zu-fasching-fuehren-sie-die-dame-nicht-am-po-1.477420

http://www.echo-online.de/ratgeber/lifestyle/Silvesterparty-Essen-Trinken-und-Ausharren;art484,2485759

http://www.br.de/themen/bayern/inhalt/fasching-und-fastnacht/tanz-knigge100.html

http://www.echo-online.de/ratgeber/lifestyle/Silvesterparty-Essen-Trinken-und-Ausharren;art484,2485759

Radiointerview: http://www.egofm.de/Programm/Sendungen/Sprechstunde/Artikel/716886/Der-egoFM-Knigge/


Sponsor:
ambranet GmbH Agentur für Internet und Unternehmenskommunikation
Dr. Susanna Künzl,
Tel. 09126 – 289090.
E-Mail: service@ambranet.de,
URL: www.ambranet.de
.