Ökologische Unternehmenskommunikation zum Anfassen: Papier

Liebe Leserinnen und Leser,

zu meinen Schulzeiten war ich bekannt für meinen „Öko-Tick“, anerkennender formuliert: Umweltengagement. Mit einer Klassenkameradin zusammen organisierte ich privat die erste Alu- und die erste Altpapiertonne an einem bayerischen Gymnasium. Uns war aufgefallen, dass viele SchülerInnen Tag für Tag ihr Pausebrot und Apfelviertel in Alufolie verpackt mitbekamen – und dabei eine ganze Menge kostbares Metall in den Müll wanderte. Den Inhalt der Tonnen brachten meiner Freundin und ich im Wechsel per Fahrrad einmal im Monat zum weit entfernten Wertstoffhof. Dabei hatten wir beide zunächst das wohlige Gefühl, dem Umweltschutz durch praktische Taten zu einem realen Fortschritt verholfen zu haben.

Was wir unterschätzten und was uns furchtbar frustrierte, war allerdings die Aufklärungsarbeit, um unseren MitschülerInnen die Mülltrennung zu vermitteln. Da konnte ich als Redakteurin noch so viele Appelle in der Schülerzeitung platzieren und meine Freundin sich als Tonnen-Aufsicht postieren: Grundsätzlich lagen in der Alutonne immer wieder schimmelnde, stinkende Apfelbutzen und in der Altpapiertonne fand sich das Alu oder Zellophanpapier vom Pausebrot, Coladosen und so weiter, die unsere Rohstoffsäcke so verunreinigte, dass der Wertstoffhof oft die Annahme verweigerte. Ab in den Hausmüll mit unseren Sammlungen. Ich fühlte mich bei all diesen Aktivitäten zwar einerseits heldenhaft, gleichzeitig aber ausgesprochen doof und hilflos. Die nachwachsende SchülerInnengeneration hat unsere Einrichtung, nachdem wir das Gymnasium verließen, übrigens nicht weitergeführt. Als ich das erfuhr, fühlte ich mich noch heroischer, noch hilfloser, noch doofer.

Ein Jahr später wählte ich im Rahmen meiner Bewerbung an der Deutschen Journalistenschule das Thema „Ersticken wir in Altpapier?“. Recherche und Dokumentation. Zu meinem großen Entsetzen fand ich heraus, dass damals allein die Bayern so viel Altpapier sammelten, dass ein großer Teil nicht mehr verwertet werden konnte sondern nach Italien gebracht wurde, um dort in der Müllverbrennung zu landen. Verbrennung! Für kurze Zeit sammelte ich überhaupt nichts mehr. Doch dann meldete sich die alte Gewohnheit zurück und auch das Umweltgewissen. (Interessant, dass moralisch gut bewertete Gewohnheiten ebenso schwer abzustellen sind wie sogenannte Laster!).

Ab dieser Zeit blieb allerdings meine Öko-Gesinnung im stillen Kämmerlein. Erkenntnis: Ich kann auch aus Überzeugung Müll trennen und Rohstoffe sammeln, ohne alle Welt bekehren zu wollen oder zu müssen. Vielleicht lag´s ja an meinen Einsichten in die Dauer und Dynamik von Lernprozessen? Oder daran, dass ich durch meine Ausbildung in Sachen Dialog und humanistisches Menschenbild mehr Respekt bekam vor der Selbstbestimmung eines jeden, einer jeden unter uns?

Heute allerdings, da habe ich wieder öfter das Gefühl, ich möchte es in alle Welt hinausposaunen: Leute, macht mit! Tut doch was! Einfach mal wieder informieren und aufrütteln, so wie in meinen alten Zeiten als Journalistin. Die Motive sind gleich geblieben: Ich liebe die Natur, vor allem den Wald. Die Form hat sich aber geändert, die Ansprache. Der vorwurfsvolle Unterton und die Heldenisolation ist einem konstruktiven Pragmatismus und mehr Ehrlichkeit gewichen: Was ist wirklich machbar? Wo sehe und setze ich selber Grenzen? Was verträgt sich auch auf Dauer mit dem Arbeitsalltag und den Rahmenbedingungen in der Unternehmenskommunikation?

Lesen Sie hier, was die Expertin uns Kommunikationsprofis in den Firmen empfiehlt, Monika Nolle von der Initiative „Papierwende jetzt“. Dies gleich vorweg: Altpapiersammeln ist wieder sinnvoll. Es wird längst nicht mehr außer Landes gebracht und dort verbrannt, sondern ist still und leise zum Rohstoff Nr.1 in der Papierindustrie avanciert. Hat nur leider kaum einer mitbekommen, so wie noch mehr Neues rund um den Stoff, der auch im vermeintlich papierlosen Büro geduldig die Früchte unserer Kommunikationsarbeit trägt. Bis jetzt.

Ihre Dr. Annette Hartmann

Papier? „So weiß wie nötig“ statt „so weiß wie möglich“

wortstark: Frau Nolle, Sie haben 1987 die „Arbeitsgemeinschaft Regenwald und Artenschutz“ (ARA) mitgegründet, waren lange Jahre ehrenamtlich dort aktiv und sind nun seit zehn Jahren hauptberuflich dabei. ARA engagiert sich als Partner in Initiative 2000 plus für mehr Recyclingpapier und Sie sich vor allem als Ansprechpartnerin zur Aktion „Papierwende jetzt“, einem Projekt dieser Initiative. Wie kamen Sie zu diesem Themenschwerpunkt, gab es hierfür ein Schlüsselerlebnis?

Monika Nolle: Ich bin Biologin. Und hier interessierte mich schon immer vor allem der Naturschutz. Aber dieses Thema war im Studium ziemlich unterrepräsentiert. An der Uni Bielefeld trafen sich dann immer so 20, 25 Leute in den wenigen Naturschutz-Seminaren und diese Leute haben beschlossen, unseren Verein ARA zu gründen. Das Ziel von ARA war unter anderem eine bessere Verbindung von naturschutz- und entwicklungspolitischer Arbeit.

wortstark: Wenn ich das mal so für mich übersetzen darf: Naturschutz ist eher das Bewahren, und Entwicklungspolitik ist eher das Planen, Neues schaffen… Das wollten Sie unter einen Hut bringen?

Monika Nolle: Ja, zwischen beiden Bereichen gab es damals einen Graben. Da wurden dann zum Beispiel Nationalparks eingerichtet und die Menschen, die dort lebten, wurden kaum in die Naturschutzstrategien einbezogen, was natürlich auch zu einer Gegenwehr führte. Uns war wichtig, dass der Naturschutz ausgedehnt wurde auch auf den Schutz der indigenen Völker, die von dem Land abhängig sind. Als bessere Lösung ist es ja auch möglich, z.B. Biosphärenreservate einzurichten, wo nur ein kleiner Bereich wirklich den Tieren und Pflanzen vorbehalten ist und der Rest von den Ureinwohnern in alter Tradition genutzt wird.

wortstark: Klar. Und wie kamen Sie dann ausgerechnet auf das Thema Papier?

Monika Nolle: Papier als globales Produkt berührt wirklich alle Facetten dessen, was ich im Rahmen meiner Umweltbildungsarbeit vorher schon einzeln bearbeitet hatte, sei es Tropenwaldvernichtung, Errichtung von Monokulturen, Schutz indigener Völker, Verbraucheraufklärung in Sachen Tropenholz und anderer Produkte, Ressourcenschonung auch bei uns und so weiter. Papier ist da ein Schlüsselthema und interessiert vom Kleinkind bis zum Großverbraucher wirklich jeden. Ein Kind kauft keine Fensterrahmen aus Tropenholz, aber jeder von uns konsumiert sein Leben lang Papier. Die Leute, die wir informiert hatten, wollten aktiv etwas tun. Bei Papier können sie das.

wortstark: Sehr gut, denn hier kommen wir nun auf das Thema Unternehmenskommunikation. Dass es trotz des Computers, auch im Zeitalter der digitalen Kommunikation via Internet kein papierloses Büro gibt, ist ein offenes Geheimnis. Es heißt, wir brauchen sogar zunehmend mehr Papier… –

Monika Nolle: Genau. Der sowieso schon sehr hohe Papierverbrauch in Deutschland wächst pro Jahr immer noch weiter um drei Prozent. Im Moment verbrauchen wir pro Kopf 233 Kilo pro Jahr.

wortstark: Aha? Mir erscheint es gleichzeitig irgendwie immer schwerer, sich umweltfreundlich zu verhalten in Sachen Papier. Mein eigenes Schlüsselerlebnis, warum ich das Thema für diesen Newsletter ausgesucht habe, war ein Gespräch an der Kasse der Büromaterial-Handelskette „Staples“ im Juli: Ich fragte die Kassiererin, warum das Recyclingpapier fast doppelt so teurer als weißes Frischfaserpapier angeboten würde (ich bezahlte EUR 3,49 für das weiße, EUR 5,99 für das graue).

Zweitens interessierte mich, ob es nicht auch für Recyclingpapier die 2.500-Blatt-Gebinde gäbe, da ich gern auch vom Öko-Papier eine größere Menge auf einmal kaufen würde. Antwort: „Das gibt es nicht, weil keiner das graue haben will. Ich arbeite jetzt 17 Jahre hier und Sie sind die erste, die danach fragt!“ Kann das sein? Wie ist denn seitens der Unternehmen die Nachfrage speziell nach Recyclingpapier? Und warum ist es fast zweimal teurer als das weiße?

Monika Nolle: In Ihrer Frage haben Sie die Antwort schon teilweise gegeben: Es gibt deswegen vom Recyclingpapier keine 2.500-Blatt-Gebinde, weil es so wenig Nachfrage gibt!

wortstark: Aber wir reden doch jetzt nicht von einem kleinen Schreibwarenladen, sondern von einer großen internationalen Büromaterialkette. Das ist doch Großhandel, da kaufen gewerbliche KundInnen. Die verbrauchen doch einiges an Papier?

Monika Nolle: Ja, aber nicht unbedingt Recyclingpapier.

wortstark: Wie erklären Sie sich das?

Monika Nolle: 1991 war das Boom-Jahr des Öko-Papiers. Öko galt als chic, und es war sowohl privat wie auch für Firmen schon fast peinlich, wenn man noch weißes Papier hatte. Aber es gab damals drei Entwicklungen, die die Öko-Welle wieder zum Abklingen brachten: Erstens war das erste Altpapier nicht so hochwertig recycelt wie heute. Es hieß übrigens auch anders, es hieß „Umweltschutzpapier“, war ziemlich dunkel, enthielt noch viele Stäube und teilweise sicht- und fühlbare Fasern. Das Papier war nicht gewaschen – im Fachjargon„de-inkt“ – deshalb sah man noch viel von den früheren Druckfarben. Darauf zu schreiben war nicht immer einfach, die Tinte konnte zerlaufen und im Kopierer gab es oft Papierstau. Die Techniker warnten vor hohen Wartungskosten. Heute ist das Recyclingpapier qualitativ hervorragend, aber es nimmt keiner mehr zur Kenntnis.

Xerox und Canon beispielsweise haben Tests gemacht und geben Zertifikate heraus, dass auf ihren Kopiergeräten das heutige Recyclingpapier mindestens so gut läuft wie Frischfaserpapier.

wortstark: Das kann ich bestätigen: Bei mir verheddert sich auch schon lange nichts mehr im Drucker oder Kopierer. Aber was sorgte noch für das Abklingen der Öko-Welle?

Monika Nolle: Viel von der damaligen Aufklärungsarbeit in Sachen Papier konzentrierte sich auf den Aspekt Chlorbleiche. Es gab viele Kampagnen dazu, wo zum Beispiel Tiere gezeigt wurden, die durch verseuchtes Wasser sterben. Umweltbewusste VerbraucherInnen verlangten daraufhin von der Papierindustrie „chlorfrei gebleicht“. Was sie aber nicht wussten: Das war und ist Frischfaserpapier! Plötzlich ging es nicht mehr um den Rohstoff Holz sondern nur noch um die Produktionsmethode. Auf diese Weise ging immer weniger Altpapier über den Ladentisch.

wortstark: Oh je, der Irrtum ist mir sicher auch passiert. Sowas hätte ich nicht durchschaut…

LogoMonika Nolle: Da waren Sie nicht die einzige. Für die Unternehmenskommunikation haben wir kaum Verbrauchsdaten, aber in den Schulen waren es einst über 70% Altpapieranteil an den Heften, heute sind es gerade einmal 3-5 %. In den Firmen dürfte das Verhältnis ähnlich liegen. Für diesen Absturz des Altpapieranteils sorgte auch ein neues scheinbares Umweltsiegel, was die KonsumentInnen endgültig irreführte: „Aqua pro Natura/ Weltpark Tropenwald“.

Das ist ein reines Werbezeichen und wird von der Papierindustrie selbst vergeben. Es garantiert nur, dass das Holz nicht aus Tropenwäldern kommt und chlorfrei gebleicht wurde. Mit Altpapier hat das aber nichts zu tun, und es werden auch keine offiziellen Umweltschutzauflagen dafür erfüllt.

wortstark: Verdammt nochmal! Wird da auch noch herumgetrickst! Aber dann machen wir beide bitte jetzt Nägel mit Köpfen und sind konstruktiv: Wie erkenne ich das „gute“ Recyclingpapier? Wo bekomme ich es, und was kostet es?

Logo Blauer EngelMonika Nolle: Der Blaue Umweltengel ist ein offizielles Zeichen und die Kriterien hierfür werden von einer unabhängigen Jury zusammen mit dem Umweltbundesamt erarbeitet und vergeben. Bei Papier mit dem Blauen Engel wird garantiert: Hier wurden wirklich 100% Altpapier verwendet, keine giftigen Chemikalien eingesetzt und das Papier entspricht hohen technischen Normen für den Einsatz in Bürogeräten und in Sachen Archivierbarkeit. Das ist empfehlenswert.

Sie bekommen das Papier, deutlich unter dem Preis von Frischfaserpapier, zum Beispiel bei www.memo.de. Dort kosten im Moment zum Geburtstagspreis 500 Blatt netto EUR 1,99, also deutlich weniger als Frischfaserpapier. Memo liefert das Papier auch in kleinen Mengen. Meistens ist es schon am nächsten Werktag da. Übrigens liefern sie papierlos, das heißt, sie nehmen ihre Mehrweg-Kisten gleich wieder mit.

wortstark: So, das finde ich jetzt toll! Dafür mach ich auch gerne offen Werbung auf meiner Website. Wo kann man sich als umweltbewusste(r) Papier-EinkäuferIn denn noch umschauen nach Bezugsquellen?

Monika Nolle: Auf der Internetseite unserer Initiative 2000 plus (s.u.) finden Sie zum Beispiel den „Kritischen Papierbericht 2005“. Dieser enthält neben vielen anderen Infos eine Marktübersicht mit Bezugsquellen für Büropapiere mit dem Blauen Engel.

wortstark: Danke. In Ihrem Infoblatt „Papierwende“ geben Sie Tipps, wie das vorhandene Papier eingespart und besser genutzt werden kann. Lassen Sie uns bitte gemeinsam alle vier Tipps anschauen und an meinem Beispiel diskutieren. Da heißt es:

„Drucken Sie nicht jeden Blödsinn aus“.

Das ist aus meiner Sicht ein guter Rat, aus Umweltgründen sowieso, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen: Ausdrucke kosten ja nicht nur Papier, sondern auch Toner und Strom. Außerdem muß jedes Blatt Papier auch wieder aufgeräumt und wegsortiert – und irgendwann entsorgt – werden. Das kostet Zeit. Ich sehe aber auch Ausnahmen: Wer viele Internet-Recherchen macht, druckt manches aus, weil es vielleicht am nächsten Tag schon nicht mehr auf der Website steht. Papier hilft dann beim Konservieren von Inhalten, sprich Dokumentieren, Fixieren. Ähnlich liegen die Dinge bei E-Mails, wo Absprachen getroffen wurden, die entweder zur Rekonstruktion von Entscheidungen bei längeren Kooperationen wertvoll sein können und bei Unstimmigkeiten vertragsähnliche und damit rechtsverbindliche Züge annehmen können. Im Zweifelsfall fragt jeder Anwalt: „Und, haben Sie etwas schriftlich?“ Was sagen Sie dazu?

Monika Nolle: Selbstverständlich gibt es solche Fälle, wo Papierausdrucke sinnvoll sind. Aber laut einer Untersuchung der „Initiative Pro Recyclingpapier“ (Berlin) sind in den Firmen 60 % aller Ausdrucke überflüssig! Das ist mehr als die Hälfte.

Meiner Meinung nach ist das ein Lernprozess, wo sich jeder selbst fragen muss: Ist das Ausdrucken wirklich nötig? Oft ist ein sinnvolles Ablagesystem am PC viel praktischer als das Ausdrucken und Ablegen im Ordner, weil man die Daten in digitaler Form besser erneut nutzen oder leichter an andere weitergeben kann.

wortstark: Okay. Nächster Tipp:

„Führen Sie Korrekturen am Bildschirm durch und nicht an einem Ausdruck“.

Ich arbeite bei wortstark sehr viel mit Texten, habe früher in der Werbe- und Verlagswelt professionell Korrektur gelesen und ich sage zu diesem Tipp: Nein, das geht aus Qualitätsgründen nicht. Es ist für die Augen zu anstrengend, und trotzdem übersieht man noch zu viele Fehler. Das habe ich ausprobiert. Der digitale Newsletter „simplify Internet“, herausgegeben von Jörg Schrötensack, empfahl vor kurzem ebenfalls, Korrekturen langer oder wichtiger Texte auf einem Papierausdruck zu machen. Das Lesen am Bildschirm brauche 10 % mehr Zeit, das Flimmern des Monitors (70-90 Mal pro Sekunde) raube die Konzentration, Navigieren und Scrollen sei ebenfalls kräftezehrender als das Blättern von Hand und dann kommen noch die persönlichen Bildschirmeinstellungen hinzu, wo unergonomische Schriftgrößen und zu bunte Farben die Augen zusätzlich belasten (Quelle: Deutsche Gesellschaft für Psychologie). Gibt es aus Ihrer Sicht hierzu Gegenargumente oder Fälle, die doch dafür sprechen?

Monika Nolle: Wir arbeiten hier auch sehr viel im Netzwerk, da werden Texte zur Abstimmung hin- und hergeschickt. Ich kann das mit meinem heutigen modernen Bildschirm sehr gut machen und bin froh, dass ich dabei mit dem Korrekturmodus arbeiten kann und direkt die Änderungen sehe, ohne dass ich das Gekritzel von anderen Leuten entziffern muss (lacht).

wortstark: (lacht)… ja, okay, bei redaktionellen Änderungen geht das. Aber ich habe jetzt jene Arbeitsrealität meiner LeserInnen im Sinn, die in der Werbung aktiv sind: Wenn der Grafiker seine Layouts schlusskorrigiert haben möchte, können wir´s nur per Papier machen, wo handschriftlich Korrekturzeichen draufkommen…

Monika Nolle: Gut, okay, ich denke bei all unseren Tipps: Es muss ja nicht jeder zu 100 % erfüllen, aber wenigstens überlegen und dann ein bisschen was tun. Das bringt in der Summe schon eine Menge.

wortstark: … und es ist ja auch nicht jeder ständig nur damit beschäftigt, Broschürenlayouts schlusszukorrigieren. Man hat oft rein redaktionelle Texte zu bearbeiten.– Kommen wir zu Ihrem nächsten Tipp:

„Papier hat zwei Seiten, benutzen Sie beide“.

Daran bin ich schon seit Schulzeiten gewöhnt. Gerade bei Korrekturfahnen verwende ich grundsätzlich die Rückseiten bereits benutzter Blätter, da ja diese Unterlagen in meinem Büro bleiben. Auch Ideensammlungen, spontane Notizen, Konzepte aller Art schreibe ich auf mein eigenes Altpapier. Da kann ich wirklich viel Papier doppelt nutzen! Haben Sie eigentlich einen Überblick, wie viel Prozent Papier von den Unternehmen nur einseitig genutzt wird?

Monika Nolle: Dazu kenne ich keine Studie, aber anhand meiner eigenen Altpapiersammlung würde ich sagen, ich kann 60% nochmal von der Rückseite nutzen. Die wandern bei anderen Büros einfach ungenutzt in die Tonne.

wortstark: Jetzt kommt wieder das Aber: Zu Kunden nehme ich solche Doppelseiter grundsätzlich aus Datenschutzgründen nicht mit. Und bei größeren Firmen ist der Datenschutz noch komplexer, deswegen weiß ich, dass viele das zweiseitige Bedrucken sogar verbieten. Wehe, jemand legt im Kopierraum sein Altpapier zur Zweitverwendung hin. Da geht auch schnell das Hick-hack zwischen den Abteilungen los: „Schau mal, was die anderen für unverschämte E-Mails an unsere KundInnen schreiben!“ Oder sogar gegen Einzelpersonen: „Ist ja interessant: Die Assistentin hat ihren Brief viermal hintereinander rauslassen müssen, jedes Mal hat sie sich an der gleichen Stelle vertippt!“ Ich habe während meiner letzten Festanstellung bei einem Konzern am Schluss das einseitig genutzte Papier zur Zweitverwertung sicherheitshalber nur noch im eigenen Schreibtisch gelassen.- Was raten Sie denn unter dem Umweltaspekt den größeren Firmen?

Monika Nolle: Sich nicht nur auf Altpapiernutzung konzentrieren, sondern schon beim Erstbedrucken bewusster herangehen: Bei der Nutzung der zweiten Seite gibt es vor allem beim Ausdrucken von längeren Dokumenten und hohen Stückzahlen ein großes Potenzial. Bei guten Druckern und Kopierern ist es heute ganz einfach, längere Texte von vornherein zweiseitig bedruckt rauszulassen. Da könnte unglaublich viel Papier eingespart werden.

wortstark: Jetzt gibt es aber noch eine Sache, wo ich keine umweltbedingten Kompromisse mache: Was bei mir zu KundInnen rausgeht und sei es nur, dass ich das Papier bei ihnen zum Gespräch dabei habe, drucke ich aus ästhetischen Gründen auf weißes Papier. Matschiges Grau ist einfach nicht das passende Trägermaterial für meine qualitativ hochwertigen Texte und Konzepte. Schwarz auf strahlend weiß sehen starke Worte deutlich schöner aus. „Das Auge isst mit“ – auch bei der Unternehmenskommunikation, wenn es nicht direkt um Werbung geht… Ihr Kommentar?

Monika Nolle: Erstens gibt es heute Altpapiere in den unterschiedlichsten Weiß-Graden. Das handelsübliche hellgraue, meist vertretene, hat eine „60er Weiße“. Das ist das ökologisch wertvollste, weil es wenig „de-inkt“, also gewaschen ist. Sie können aber auch Papiere mit 80er Weiße bekommen oder sogar mit 100er Weiße. Die sind preisgleich mit Frischfaserpapieren und genauso weiß.

wortstark: Und was ist daran noch öko? Das muss ja dann ganz stark chemisch behandelt werden, oder? Und muss da nicht auch neues Holz dazu?

Monika Nolle: Nein, das ist 100% Altpapier, was einfach nur öfter gewaschen wurde.

wortstark: Wie oft kann man überhaupt recyceln?

Monika Nolle: Papier als Zellstoff ließe sich sechs- bis sieben Mal recyceln, es wird aber bisher nur ein bis zweimal gemacht. Abgebrochene Fasern werden einfach mit rausgewaschen, daher kommt die Aufwertung.- Aber ich wollte Ihnen noch zu Ihrer Aussage „das Auge isst mit“ etwas erzählen…

wortstark: Ja?

Monika Nolle: Bei uns hat sich neulich ein Verlag gemeldet, der ein Regenwaldprojekt fördern wollte. In den Gesprächen stellte sich nebenbei heraus, dass der Verlag all seine Bücher auf Frischfaserpapier drucken lässt, was anschließend leicht gelblich eingefärbt wird, weil das harte schwarz auf weiß so unangenehm für die Augen ist. Wenn Sie sich im Buchhandel umsehen: Es gibt kaum Bücher mit strahlendem Weiß. Die sind alle nachträglich eingefärbt und bekommen dann die Farbe, die Recyclingpapier schon von Natur aus hätte…

wortstark: Mein Gott! Aber es stimmt, die meisten Bücher sind innen gar nicht richtig weiß. Aber was war dann mit dem Verlag: Hat er auf Recyclingpapier umgestellt?

Monika Nolle: Ja. Die haben mit unserer Hilfe ein für ihre Bedürfnisse passendes Papier gefunden.

wortstark: Das „für sie passend“ ist ein gutes Stichwort: Sie bieten ja Papierberatungen in Unternehmen und Organisationen an. Wie und wo läuft das ab und was kostet das?

Monika Nolle: Wir beraten die unterschiedlichsten Organisationen vor Ort, unter anderem Firmen, die für ihre Unternehmenskommunikation Rat suchen, Verlage, Agenturen, Druckereien, Behörden, Schulen und Universitäten. Hierzu suchen wir dann die passenden ExpertInnen aus, die dann mit dabei sind. Eine halbtägige Fortbildung kostet EUR 400,- und ganztägig EUR 800,-.

wortstark: Bevor das Controlling gleich abwehrend dazwischenfunkt: Haben Sie Erfolgsnachweise, was Ihre Papierberatung unternehmerisch bringt?

Monika Nolle: Es gibt eine Studie „Einsatz von Recyclingpapier im Bürobereich“ vom Ökoinstitut in Freiburg und dem Naturschutzbund NRW. Die Studie zeigte, dass große Konzerne wie Karstadt, Otto-Versand, Bertelsmann und andere durch die Umstellung auf Recyclingpapier (bei Büropapieren, aber auch teilweise in ihrer Werbung) bis zu 20 % einsparten, und das waren bei denen ganz schöne Summen.

wortstark: Das glaub ich. Sehr schön. Papier wird in den Firmen ja nicht nur in den Büros benutzt, sondern auch in den Küchen, Toiletten, der Poststelle und bei Produktverpackungen. Haben Sie hier auch Tipps, die wir den Kommunikationsleuten gleich mit an die Hand geben können?

Monika Nolle: Die umfassende Umstellung wäre natürlich sehr sinnvoll. Manchmal lohnt es sich, zu prüfen, ob es in jeder Küche eine Wisch-und-Weg-Rolle geben muss, oder ob es nicht auch ein einfacher Lappen täte? Verpackung ist auch ein dankbares Thema für uns. Und zum Toilettenpapier gibt es ein Vorurteil, was noch aus der tatsächlich grauen Vorzeit des Altpapiers stammt: Es sei unhygienischer, weil noch Druckrückstände enthalten seien, die empfindliche Haut reizen könnten. In unserer Papierwende-Ausstellung haben wir dazu ein großes Klo aufgebaut und unter dem Titel „Merkt kein Arsch“ zeigen wir die Hochwertigkeit von heutigem Hygienepapier aus Recyclingquellen. Das ist absolut keimfrei, hat den Blauen Umweltengel – das ist ja nicht nur ein Umweltsiegel sondern es bestätigt auch hohe Qualität. Theoretisch könnten Sie dieses Papier sogar essen!

wortstark: Ne! Soweit geht mein Interesse dann doch nicht! (lacht) Aber zum Abschluss: Wie sind die aktuellen Zukunftsaussichten beim Papier, gute und schlechte? Ich habe zum Beispiel bei meiner Internetrecherche entdeckt: Hanf – im 19. Jahrhundert Grundstoff von 90 % aller Bücher – würde zur Wiederentdeckung anstehen? Und nach einer Pressemeldung des Verbandes der europäischen Papierindustrie (CEPI) wird in den letzten Jahren verstärkt in Russland Wald gerodet – geht dann dort auch bald die Flora und Fauna kaputt wie bisher im tropischen Regenwald?

Monika Nolle: Der Papierverbrauch wird bei uns, aber vor allem weltweit weiter ansteigen. Allein Chinas 1,3 Milliarden EinwohnerInnen verbrauchen heute pro Kopf 40 Kilo Papier pro Jahr, wir verbrauchen 233 Kilo. Wenn die Wirtschaft in Ländern wie China weiter anzieht – der Papierverbrauch ist übrigens, bisher, auch ein Gradmesser für den wirtschaftlichen Entwicklungsstand eines Landes – dann haben wir alle bald ein echtes Problem. China wird seinen Verbrauch mindestens verdoppeln.

wortstark: Wo holen die Chinesen sich dann ihr Holz: Bei uns? Und was ist mit dem Hanfpapier, das wurde doch schließlich in China erfunden?

Monika Nolle: Hanfanbau ist sehr flächenintensiv, wir müssten ganz Deutschland mit Hanffeldern bebauen und bekämen immer noch nicht genug Rohstoff für Papier. Aber wir könnten führend werden in der sparsamen Nutzung von Altpapier, führend in der Nachfrage an Altpapier und führend sein in der Erforschung von Alternativen zum Zellstoff aus Holz.

wortstark: Wenn Hanf keine Alternative ist, was dann?

Monika Nolle: Durch die Erderwärmung gibt es zum Beispiel immer mehr Algen. Damit wird im Ausland schon als Papierrohstoff experimentiert. In den USA gibt es eine Firma, die Papier aus alten Jeans herstellt. In Afrika wird Papier aus Elefanten-Dung hergestellt. Unsere Banknoten werden bis heute aus Lumpen hergestellt, Leinen und Baumwolle. Wenn wir in Schulklassen arbeiten, zeigen wir, dass man auch aus Spargelschalen Papierfasern gewinnen kann. Aber auf absehbare Zeit wird nichts an den Rohstoff Holz zur Papierherstellung herankommen, weil die Ausbeute im Vergleich gut ist. Wir müssten den Rohstoff Holz nur sparsamer einsetzen.

wortstark: Hm. Vielleicht hilft ja doch die Aufklärungsarbeit, die Sie machen: Ich war überrascht, von Ihnen zu erfahren, dass immer noch 17 % des in Deutschland verbrauchten Papierrohstoffs aus Urwäldern stammen. Nicht nur in fernen Tropen, sondern zur Zeit ist der Urwald in „Karelien“ dran, das liegt an der Grenze zwischen Finnland und Russland. Kennt kein Mensch, weiß kein Mensch. Aber das ändern wir ja gerade. –

Offene Frage: Wenn Ihnen etwas einfällt, was Ihnen sonst noch zu Ihrem Thema wichtig ist und worüber wir bisher nicht gesprochen haben, dann ist hier Raum dafür.

Monika Nolle: Bei uns hat ein Kind, das laufen lernt, schon mehr Papier verbraucht als ein Afrikaner in seinem ganzen Leben. Ich sage deshalb nochmal: Papier ist nicht nur ein Ökothema, sondern das Beispiel für Ungleichverteilung auf der Welt. Deshalb sollten wir uns nicht irritieren lassen von billigem Papier aus Indonesien, was im Moment auf den Markt geworfen wird und vor Ort Wälder, Umwelt und somit die Lebensgrundlagen von Menschen dort zerstört. Wir sollten konsequent und vorrangig Holz aus unseren deutschen Wirtschaftswäldern einsetzen, die immer noch artenreicher sind als Plantagenwälder in den Tropen. Wir sollten uns am Blauen Umweltengel orientieren, der wirklich Qualität nachweist, aber auch eine umweltgerechte Produktion von Papier und der deshalb fast nur auf heimische Papiere kommt. Und beim Weißegrad meines Papiers beachte ich immer die Maßgabe „So weiß wie nötig, statt so weiß wie möglich“. Intern nutze ich nur dunkleres, weil es noch ressourcensparender und kostengünstiger ist, und bei Briefpapier u.a. Materialien, die rausgehen, nehme ich helleres. Und wenn wir bei den Tipps manchmal denken, ach, das ist ja doch nur so ein winzig kleiner Fortschritt, wenn ich hier jetzt drei Seiten einspare: Insgesamt führen diese kleinen Schritte, wenn sie viele Leute tun, dann doch zu einer großen Wende, eben zu einer Papierwende.

wortstark: „Jetzt!“ Es heißt doch bei Ihnen „Papierwende jetzt“… Ich danke Ihnen sehr für dieses informative Gespräch, Frau Nolle und hoffe, dass viele LeserInnen diesen Newsletter gelesen haben und ab jetzt umdenken beim Papierkonsum.

Monika NolleSie erreichen Monika Nolle bei ARA unter Tel. 0521 – 65943 oder unter monika.nolle@araonline.de .

Informationen und Papierberatung:
www.papierwende.de
www.araonline.de/papierausstellung/papier.htm
www.treffpunkt-recyclingpapier.de
www.initiative-papier.de

Bezugsquellen für Recycling-Papiere:
www.memo.de
www.steinbeis-temming.de

Marktübersicht im „Kritischen Papierbericht 2005“ unter:
www.treffpunkt-recyclingpapier.de/initiative/mitteilungen/mitteilung.php?id_mitteilung=34

Sponsor:
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