Vom Wortgefecht zur Verständigung: Friedensarbeit im Büro
Liebe Leserinnen und Leser,
die Fußballweltmeisterschaft ist fast ohne gewaltvolle Zwischenfälle abgelaufen. Bravo! Ich fand die offene, interessierte, gastfreundliche und freudvolle Stimmung im Land wunderbar.
Doch leben wir trotzdem nicht auf Wolke 7. Die Gewalt, die manche Zeitgenossen angesichts der internationalen Massenveranstaltung Fußball befürchtet hatten, die passiert im Alltag innerhalb unserer eigenen Kultur und unseren vergleichsweise kleinen sozialen Gefügen so oft und so unerkannt, in schwer fassbaren Formen, dass sie jeden, jede von uns möglicherweise viel mehr prägt als wenn in diesem äußerlich so sicheren Land plötzlich doch mal Blut fließt.
Die Blutspur, die ich meine, ist unsichtbar und zieht sich durch Familien, Partnerschaften und eben auch durch Belegschaften von Firmen: Sie wird hinterlassen von gewaltvoller Sprache. Tatwaffe: Das Wort. Der Ausdruck, eine Äußerung habe einen „verletzt“ meint genau dies. Bestimmt haben auch Sie als gut ausgebildeter Kommunikationsprofi in Ihrem sprachlichen Repertoire, vielleicht gut versteckt, ein paar geschliffene „Killerphrasen“ (!) und für die meisten Menschen in Ihrem Umfeld einen Köcher voller sprachlicher Spitzen parat? Öffnen Sie sich und Ihre sprachlichen Waffenarsenale doch mal zu einer kleinen Inspektion. Prüfen Sie, ob und wo Sie künftig abrüsten und gewaltfreie(r) kommunizieren möchten.
Der Amerikaner Marshall Rosenberg hat sich 30 Jahre mit gewaltfreier Kommunikation beschäftigt und konkrete Hilfen entwickelt, wie wir aus unseren verletzenden „Wortgefechten“ (!) und „Verbalschlachten“ (!) herauskommen und es bis zur Verständigung schaffen können. Nicht umsonst vermittelt er immer wieder an allen Ecken der Welt, wo´s gerade mal wieder blutige Auseinandersetzungen gibt, weil Sprache als Mittel der Auseinandersetzung versagt hat: Gewaltvolle Sprache. Marshall Rosenberg tut dies mit gewaltfreier Sprache.
Als ich ihn im Mai dieses Jahres zum ersten Mal persönlich traf, sah ich ihm die große Anstrengung an, die dahintersteht. Es scheint ein langer Weg zu sein von unser aller Wortgefechten bis zur wahren Verständigung. Aber wie war das? Auch eine große Reise beginnt mit einem ersten Schritt! Und Marshall Rosenbergs Modell funktioniert. Er hat Bestseller geschrieben, in vielen Städten der Welt Trainer ausgebildet, Netzwerke gegründet und Übungsgruppen etabliert. Ein deutscher Trainer hat sich dankenswerterweise als Experte für diesen Newsletter zur Verfügung gestellt: Klaus Karstädt. Rosenbergs Saat geht auf. Sie erreichte durch die persönliche Begegnung mich, dadurch diesen Newsletter und heute erreicht sie Sie.
Entdecken Sie eine neue, bessere Welt des Umgangs miteinander. Ich wünsche Ihnen erholsame Tage vor, im und nach dem Urlaub.
Ihre Dr. Annette Hartmann
Fremdsprache anderer Art: Gewaltfreie Kommunikation im Unternehmen
wortstark: Herr Karstädt, Sie sind zertifizierter Trainer des Netzwerkes Gewaltfreie Kommunikation e. V., München, das sich auf Marshall Rosenberg beruft. Auch als freiberuflicher Trainer konzentrieren Sie sich auf die Gebiete Konfliktmanagement und Kooperation. Wie kamen Sie zu diesem Themenschwerpunkt, gab es hierfür ein Schlüsselerlebnis?
Klaus Karstädt: Nein. Wenn man das unter Zufall parken will: Ich hatte Kontakt zu Isolde Teschner. Die hat ja Marshall Rosenberg nach Deutschland gebracht vor 25 Jahren. Und von der hatte ich mal einen Flyer bekommen, bin allerdings damals nicht hingegangen. Mir schien das alles bekannt, was ich da gelesen habe. Ich dachte „kann ich schon“. Ein Jahr später, das ist jetzt acht Jahre her, habe ich den Marshall auf einem Kongress kennengelernt. Mein erster Eindruck war: „Ach Du lieber Gott, dieser verhärmte Mensch will mir etwas übers Leben erzählen? Der soll doch erstmal schauen, dass er einbißchen Freude in sein Leben kriegt.“ So hat er auf mich gewirkt. Das hat aber nur kurz gedauert, dann hat er seine Gitarre rausgenommen und ein Lied gespielt: „See me beautiful“. Schon mal gehört?
wortstark: Ja, ich war ja auch beim Marshall Rosenberg-Vortrag, im Mai. So hat das ja auch bei mir angefangen. Über das Netzwerk bin ich dann zu Ihnen gekommen.
Klaus Karstädt: Stimmt. Das Lied hat mich damals sehr persönlich berührt. Ich hab geweint. Und das, was er erzählt hat, hat Sinn gemacht für mich. Deshalb habe ich beschlossen, ich will mehr bei ihm machen. Und seither benutze ich das.
wortstark: Ah, danke. Kommen wir zur nächsten Frage: Ich war am Wochenende in einem Gospelkonzert. Eines der Lieder besang den Frieden, der – Überraschung! – bei jedem von uns selbst anfangen möge. Bei dem Satz „and let it begin with me“ wurde das mitsingende Publikum deutlich leiser. Mir ging es ehrlichgesagt auch selber so. Wie kommt es denn, dass wir häufig zuerst mit dem Finger auf andere zeigen, wenn sich etwas ändern soll in unserer Gesellschaft?
Klaus Karstädt: Das ist eine philosophische Frage, also keine, die ich in irgendeiner Weise erforscht habe. Da bin ich nicht viel kompetenter als andere. Ich persönlich glaube: Wenn man merkt, dass man etwas nicht kann, dann ist das in unserer Kultur oft geprägt von Urteilen wie „ich mache etwas falsch, also bin ich falsch“ und einem schlechten Gewissen, Schuldgefühlen. Das ist unangenehm. Deshalb ist es leichter, bei den anderen hinzuschauen: Was machen die falsch? Ich glaube, wenn wir nicht so stark geprägt wären, in Kategorien von richtig oder falsch zu denken, täten wir uns viel leichter. Ich erinnere mich, was Marshall von seiner Arbeit in Malaysia erzählt hat. Wenn er dort sagte: „Ich bräuchte mal einen Freiwilligen“, dann steht ohne jede Überlegung die ganze Gruppe auf, wie eine Person. Die haben keine Idee davon, man könnte sich blamieren oder irgendwas falsch machen.
wortstark: Das wäre ein Beweis, dass sowas anerzogen ist und nicht menschlich an sich?
Klaus Karstädt: Ja, das vermute ich. Aber ich bin eher interessiert an pragmatischen Lösungen, also weniger: Wie kommt es zu solchen Situationen, sondern mehr: Was kann ich tun?
wortstark: Das ist schön, wenn wir nämlich jetzt auf den eigentlichen Kontext dieses Newsletters zu sprechen kommen, die Unternehmenskommunikation, die alltäglich in unseren Betrieben abläuft. Könnten Sie mir bitte Beispiele geben für typische gewaltvolle und gewaltfreie Formulierungen, die Ihnen in diesem Kontext aufgefallen sind?
Klaus Karstädt: Also erstmal: Wenn ich im beruflichen Kontext mit dem Begriff „gewaltfreie Kommunikation“ komme, verbinden die meisten Leute damit erstmal körperliche Gewalt. Die Reaktion ist dann: „Brauche ich nicht, ich prügle ja niemanden.“ Deswegen verwende ich ihn überhaupt nicht, als Titel.
wortstark: Oh, sollte ich ihn dann lieber auch nicht verwenden, in diesem Newsletter?
Klaus Karstädt: Naja, Sie wollen ja das Konzept vorstellen? Ich sag natürlich auch, wenn die Leute im Raum sind, was wir inhaltlich machen. Aber ich könnte es nicht unter dem Titel vertreiben, weil die Leute sich in der beruflichen Welt davon nicht angesprochen fühlen. Und zu Ihrer Frage mit den Beispielen aus der Unternehmenskommunikation. Wir haben ja eine sehr weite Definition von Gewalt: „Alles, was Menschen sagen oder tun, wenn dabei ihre bewusste Aufmerksamkeit, ihr Denken, auf moralistische Bewertungen gerichtet ist, also gut, böse.. ist eine Form von Gewalt.“
wortstark: Das ist schon Gewalt? Hui, das geht aber wirklich schon sehr früh los.
Klaus Karstädt: Ja. Und „gewaltfrei“ hieße, dass unser Bewusstsein bei unserem Handeln und Verhalten ausschließlich auf Werten und Bedürfnissen ist – auf meinen und auf denen anderer. Das ist gewaltfrei. Und wenn Sie alle Sachinformation herausnehmen, in der Unternehmenskommunikation, bleibt eine ganze Menge Gewalt übrig.
wortstark: Beispiele?
Klaus Karstädt: Das geht von ganz derben Sachen wie , dass ein Vorgesetzter sagt: „Ihr seid doch alles hirnlose Ochsen“ über versteckte Vorwürfe in Fragen „Ja, sag mal, hast Du nicht zugehört?“ bis hin zu „Das ist doch albern! So kann man das nicht sehen“. Gewalt ist im Alltag, wenn entweder der Impuls gegeben ist, jemand zu bestrafen. Oder wenn ich mich nur um meine eigenen Bedürfnisse kümmere und was andere wollen, ist mir egal. Gewaltfrei ist dagegen, dass meine Aufmerksamkeit gleichzeitig bei meinen Bedürfnissen ist und bei den Bedürfnissen anderer.
wortstark: Und die Bestrafung ist vom Tisch?
Klaus Karstädt: Genau, die Bestrafung ist vom Tisch, denn Bestrafung ist ein Resultat dessen, dass ich denke, was der andere tut, sei böse oder falsch oder irgendeine Abwandlung davon, angemessen oder nicht angemessen … fleißig, faul … all das, was wir moralistische Bewertungen nennen.
wortstark: Okay. Das war jetzt gut, weil wir diese abstrakten Definitionen haben und gleichzeitig die konkreten Aussagen von Führungskräften, das finde ich gut. Äh – mir fällt gerade auf, ich bin auch beim moralistischen Bewerten, oder? (lacht) „Das finde ich gut?“ Ist das auch schon verkehrt?
Klaus Karstädt: (lacht) Gut gemerkt! – Also, das war jetzt eine Mischform. „Das ist gut“ ist moralistisches Bewerten. Bei „ich finde das gut“ übernimmt man wenigstens Verantwortung, im Sinne von „das ist meine persönliche Bewertung, ich erhebe nicht den Anspruch auf Allgemeingültigkeit“.
wortstark: So, und wie könnte ich das jetzt vorbildlich gewaltfrei formulieren?
Klaus Karstädt: Indem Sie schauen: Welches Bedürfnis ist erfüllt worden, wenn Sie das hören? Zum Beispiel „Das gefällt mir, denn ich hab´s gerne konkret“. Oder: „Die Erklärung, die hat mir gefallen, die hat mir gut getan, die hat mich berührt, die hat mich bewegt oder die hat dazu beigetragen, das besser zu verstehen“.
wortstark: Vielen Dank! . Wenn Sie jetzt bitte versuchen, Ihre Beispielsätze von den Führungskräften zu übersetzen in gewaltfrei. Nehmen wir doch mal die „hirnlosen Ochsen“, was könnte der Chef stattdessen sagen? . Vielleicht: „Ich bin bestürzt, dass Ihr mich nicht zu verstehen scheint?“ Oder so ähnlich? (lacht)
Klaus Karstädt : (lacht) Naja, nicht ganz. Man kann in der Regel aus den Urteilen, die jemand nutzt, Hinweise bekommen auf das Bedürfnis, was bei demjenigen zu kurz kommt. Wenn es nur so Schimpfworte gibt wie „Du Arsch“ oder „Du Blödmann“, dann ist da wenig Gehalt drin. Aber wenn jemand schimpft „hirnlos“, dann ist ihm wichtig, dass man genau die Folgen bedenkt, dass man sich die Sachen überlegt, bevor man etwas entscheidet. Das Gegenteil von hirnlos: Die sollen ihr Hirn nutzen. Man kann versuchen, herauszufinden: „Was ist in diesem Menschen lebendig, der das gerade gesagt hat?“
Bei manchen Urteilen ist es einfacher. Wenn jemand schimpft „Das ist total rücksichtslos“, dann will er mehr Rücksicht. Oder wenn jemand einem anderen vorwirft: „Du Egoist“, dann will er seine eigenen Bedürfnisse mehr beachtet haben. Das Bedürfnis ist in der Regel das Gegenteil von dem Vorwurf.
wortstark: Okay, danke. Wie kann ich denn gewaltfreie Kommunikation, diesen abstrakten Begriff, besser erfassen, begreifen und schließlich erlernen?
Klaus Karstädt: Das Wichtigste ist, und das passiert nach meiner Erfahrung in Schritten: Es geht nicht um eine Kommunikationstechnik, die mir hilft, mich besser durchzusetzen. Sondern es geht um eine Haltung, die davon geprägt ist: Ich möchte anderen Menschen so begegnen wie ich will, dass die mir auch begegnen. Das heißt also, den Kant´schen kategorischen Imperativ mit Leben zu füllen. Das ist der Kern.
Die Frage ist dann: Wie komme ich an diese Haltung heran? Da ist Sprache ein wichtiges Hilfsmittel. Ich horche darauf, was aus meinem eigenen Mund herauskommt und das gibt mir einen Hinweis „wo ist meine bewusste Aufmerksamkeit gerade?“ Und da gibt es diese beiden Möglichkeiten: die moralistischen Bewertungen – richtig, falsch, schön, hässlich, normal, nicht normal. oder in Kontakt sein damit „was ist in mir gerade lebendig?“ Ist das, was ich im Moment erlebe, in Einklang mit meinen Werten oder Bedürfnissen oder ist es das nicht? Und was bewegt den anderen gerade? Was ist sein Anliegen? Und der Prozess oder die Worte, das ist nur ein Weg, das zu praktizieren, aber entscheidend ist die Haltung. Das ist ein wichtiger Punkt, den die Teilnehmer beim Lernen des Prozesses nach meiner Erfahrung immer wieder vergessen. Nach einigem Üben fällt es aber an einen tieferen Platz. Gleichzeitig ist die Sprache auch immer ein Mittel, um an der Haltung zu arbeiten. An die sprachlichen Formulierungen komme ich ja nur heran, wenn ich meine Aufmerksamkeit auf Werte und Bedürfnisse richte, auf die eigenen und auf die anderer. Das wirkt sich auf die Haltung aus. Es wird selbstverständlicher, natürlicher, diese Haltung einzunehmen. Das Wichtigste, der Königsweg ist, diese Sache regelmäßig zu üben. Es gibt ja auch in München Übungsgruppen dafür.
wortstark: Hm. Ich würde gerne nochmal auf den Punkt der Natürlichkeit zurückkommen, den Sie oben angesprochen haben. In dem Workshop mit Marshall Rosenberg und auch bei mir selbst vorhin habe ich das erstens als wahnsinnig anstrengend empfunden, wenn ich mich gewaltfrei ausdrücken will. Und das zweite: Ich fand das einfach unnatürlich, was am Schluss dabei herauskam. Wirkt man dann nicht bei seinem Umfeld wie ein Marsmännchen?
Klaus Karstädt: … ist man dann noch man selbst … ?
wortstark: Ja, aber ich meine nicht nur Authentizität, sondern: Ist das noch menschlich? Wäre es nicht übermenschlich, eher so wie Jesus, wenn er nur sagt – während ihm meinetwegen das kleine Kind Erdbeereis auf die Nase schmiert: „Also das erfüllt jetzt nicht mein Bedürfnis nach Harmonie in der Welt, wenn Du das machst.“ Solche Sachen passieren doch und wenn ich da immer nur versuche, bei meinem Bedürfnis zu bleiben, klappt dann das Miteinander, gerade auch im Betrieb? Ich könnte mir vorstellen, dass das unterwürfig rüberkommt und alle mit einem machen, was sie wollen?
Klaus Karstädt : Ein paar Dinge dazu: Erstmal die Unterscheidung zwischen normal und natürlich. Es ist normal in unserer Kultur, in Form von moralistischen Bewertungen zu reden. „Normal“ heißt, es ist mir vertraut, weil es alle anderen auch so machen oder weil ich es selbst schon lange mache. Bei „natürlich“ ist uns etwas vertraut, weil es eine Resonanz in unserem Herzen gibt. Es ist wichtig, die beiden nicht zu verwechseln.
Das zweite möchte ich gern als Bild einbringen: Wir durchlaufen beim Lernen vier Phasen, die entstehen dadurch, dass wir alles was wir tun, einteilen in kompetent, inkompetent und bewusst, unbewusst.
Wir beginnen oben in dem Quadranten, wo es etwas gibt, das können wir nicht, aber wir haben keine Ahnung davon. Das ist das Paradies. Dann hört man was von Freunden, liest ein Buch, geht auf ein Seminar. Das stürzt einen nach unten in den Q2, da erfahre ich: „Oh je, es gibt etwas, das kann ich nicht“. Das ist für manche Leute mit einem Schreck verbunden bis hin zu einem Schock, dass z.B. Eltern sagen „Mensch, so bin ich mit meinen Kindern das ganze Leben umgegangen? Oh Gott, das ist ja furchtbar!“ Das kann dazu führen, dass man die verlorene Unschuld wiederhaben will, zurück ins Paradies, dass man es verdrängt. Oder dass man einen Impuls bekommt und sagt: Das will ich jetzt aber lernen. Dann geht man in den Quadranten links daneben, bewusste Kompetenz. Da lernt man ein Modell. Und bevor man seinen Mund aufmacht, überlegt man „Also zuerst kommt das Gefühl – ach nein, die Wahrnehmung.“ In der Phase geht´s holprig, man fühlt sich unwohl, weil man verzichtet auf das, was man normal fand und vertraut. Und man verzichtet auf Spontaneität, weil ich dauernd drüber nachdenke, was ich tue. Das ist aber ein notwendiger Bestandteil eines Veränderungsprozesses, denn wenn ich spontan bin, kommen immer wieder nur die gewohnten Muster. Wenn ich die durchbrechen möchte, kann Spontaneität nicht mehr die Priorität haben. Erst wenn es so selbstverständlich geworden ist, dass ich nicht mehr darüber nachdenke, dann kommen wir in den 4. Quadranten, und dann kommt es uns natürlich vor. Viele Leute vergleichen das Erlernen gewaltfreier Kommunikation mit einer Fremdsprache. Am Anfang hat man noch das Wörterbuch dabei, muss über die Grammatik und richtige Aussprache nachdenken, aber man lernt nach einer Weile, in der fremden Sprache zu denken und sich auszudrücken.
wortstark: Ja, das überzeugt mich, sowohl das Modell wie auch der Vergleich mit der Fremdsprache. Nur die Frage mit dem Übermenschlichen oder wehrlosen Schäfchen , das sich auf der Nase herumtanzen lässt, die ist noch offen.
Klaus Karstädt : Wenn jemand etwas tut, wo ich total in Rage komme, dann bedeutet gewaltfreie Kommunikation nicht, dass ich „nett“ bin. Möglicherweise brülle ich! Nicht die Lautstärke ist es, was die Gewalt ausmacht, sondern das, worauf ich meine Aufmerksamkeit richte. Und wenn ich brülle „Ich bin stinksauer, ich brauche mehr Respekt“, dann brülle ich Gefühle und Bedürfnisse. Und das lässt sich sehr wohl vereinbaren. Man kann sich also leidenschaftlich und kraftvoll einsetzen, und das ist so lange gewaltfrei, wie man keine Urteile hat über andere. Denken Sie an Jesus, der die Geldwechsler aus dem Tempel raushaut. Wir waren alle nicht persönlich dabei, wir wissen nicht, ob er Urteile hatte. Aber wenn man mal annimmt, das ist die personifizierte Liebe, dann haben Christen schon manchmal Schwierigkeiten, sich vorzustellen, dass der Sohn Gottes sich aufführt wie Rumpelstilzchen. Dabei ist so was einfach nur ein wilder, ungebärdiger Ausdruck von dem, was einem so wichtig ist. Das mit der Unnatürlichkeit st eine vorübergehende Erscheinung aus Phase 3, wo man so bewusst drüber nachdenkt, da sieht alles so weichgewaschen aus, so diszipliniert und distanziert.
wortstark: Genau das habe ich gemeint.
Klaus Karstädt: Zur Unterwerfung habe ich noch ein schönes Zitat von Gandhi: „Wenn ich nur die Wahl hätte zwischen Unterwerfung und Gewalt, würde ich immer Gewalt wählen.“ Warum? Sich zu unterwerfen wäre Gewalt gegen sich selbst. Wer sich nicht für die eigenen Bedürfnisse einsetzt und sich nicht wehrt, immer nur den Mund hält, der hat nichts mit gewaltfreier Kommunikation zu tun. Die Haltung ist also, sich sehr wohl stark zu machen für sich selbst, im Kontakt sein mit sich selbst, aber dabei mit Respekt und Wertschätzung für ein menschliches Wesen, was mir da gegenübersteht, ohne Feindbilder. Ich kann ja den Weg hassen, den jemand an den Tag legt, um sein Bedürfnis zu erfüllen, aber ich bringe seinem Bedürfnis selbst Wertschätzung gegenüber.
wortstark: Ja, das kann ich nachvollziehen. Zum Abschluss die offene Frage: Wenn Ihnen etwas einfällt, was Ihnen sonst noch zu Ihrem Thema wichtig ist und worüber wir bisher nicht gesprochen haben, dann ist hier Raum dafür.
Klaus Karstädt: Eine kurze Geschichte: Ich habe bei einem großen Automobilkonzern mit Nachwuchsführungskräften gearbeitet. Und dann kam jemand zurück, am 4. Tag und hat gesagt: „Ich finde das so irre, es gibt keine langweiligen Gespräche mehr!“ Das hat er bezogen auf diese Fähigkeit, die wir am Tag vorher geübt hatten, egal, was jemand sagt, wenn man die Verbindung dahinter sucht, was in dem Menschen lebendig ist, dann ist das so wie Detektiv des Herzens spielen. Man kriegt plötzlich Kontakt zu den Menschen. Das hat mir so gefallen. Und das beschreibt für mich sehr schön, dass wir anfangen, in einer anderen Welt zu leben.
wortstark: Dem möchte ich nur noch hinzufügen: Vielen Dank für dieses Gespräch.
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