„Wissensgemeinschaften: Mehr als Wissen + Gemeinschaften„

Liebe Leserinnen und Leser,

der Spruch „Wissen ist Macht„ ist steinalt. Aber er stimmt immer noch. Und in der Dynamik unseres Unternehmensalltags mit seiner ansteigenden Anflutung von Informationen gilt das Wissen sogar als immer relevanter. Warum? Wissen ist mehr als Daten, mehr als die einfache Anhäufung oder Auflistung von Informationen. Wissen ist eine Quintessenz aus diesen Daten, eine Ausarbeitung. Im Wissen steckt Zeit, Aufmerksamkeit, fachliche Expertise, „Brainpower„ . und das sind heute immer knapper werdende Ressourcen. Wo so viel gute Energie drinsteckt, kommt aber potenziell auch einiges heraus: Im Wissen liegt ein großes Stück Zukunft – und das gilt nicht nur für Forschung und Entwicklung im engeren Sinne, sondern letztlich für alle Funktionen und für das ganze Unternehmen.

Doch geht es in diesem Newsletter nicht einfach um das Abstraktum „Wissen„, sondern ganz praxisorientiert um eine Möglichkeit, Wissen für Unternehmen zu erschließen, zugänglich zu machen, zugänglich zu halten und Mehrwert zu stiften: Über Wissensgemeinschaften.

Obwohl Wissensgemeinschaften für ein Unternehmen im wahrsten Sinne des Wortes „geldwerte Vorteile„ bringen würden, scheinen letztere auf das Steuerrecht beschränkt und das Thema geht glatt an der Wahrnehmung vieler ManagerInnen vorbei. Und nicht nur das: Möglicherweise haben auch die KollegInnen aus der institutionalisierten Unternehmenskommunikation die Gunst der Stunde und das machtvolle Mittel noch nicht oder nicht ausreichend erkannt. Höchste Zeit, auch in der Kommunikationsszene ganz bewusst den Blick auf dieses hochinteressante Thema zu richten.

Lesen Sie hier, warum die einfache Gleichung „Wissen plus Gemeinschaft ist gleich Wissensgemeinschaft„ nicht aufgeht und was Sie beachten sollten, wenn Sie in Ihrem Betrieb oder mit Ihren Geschäftspartnern Wissensgemeinschaften etablieren möchten. Als Experten für dieses Thema konnte ich Dr. Gerald Lembke gewinnen, der sich seit mehr als zehn Jahren auf Wissensgemeinschaften spezialisiert hat.

Es würde mich freuen, wenn Sie nach der Lektüre meinen wortstarken Leitsatz „Mitteilen kommt von Teilen„ ganz konkret an Ihrem Fall mit Leben erfüllen würden und Ihre exklusive Informationsquelle in Form des monatlichen wortstark-Newsletters freundlicherweise an Ihre GeschäftspartnerInnen weitergeben. Selbst wenn Sie damit den ersten Schritt tun würden oder gerade dann: Tun Sie´s!

Viel Spaß beim Lesen, Lernen und Mit-Teilen wünscht Ihnen

Ihre Dr. Annette Hartmann

„Wissensgemeinschaften: Damit Ihre Firma erfährt, was Ihre Firma weiß„

wortstark: Herr Dr. Lembke, wie kamen Sie selbst auf das Thema Wissensgemeinschaften? Gab es ein Schlüsselerlebnis?

Lembke: Nein, es gab eher verschiedene Stationen. Nach meiner universitären Ausbildung in Wirtschaftspädogik und Wirtschaftswissenschaften, wo ich sehr viel mit sozialbetriebswirtschaftlichen Fragen beschäftigt war, arbeitete ich nacheinander in zwei Weiterbildungsinstitutionen: Zuerst an der Bad Harzburger Management-Akademie und dann am Gabler Management Institut von Bertelsmann. Wirklich mit meinem Thema in Kontakt gebracht hat mich anschließend eine leitende Tätigkeit am Gabler Verlag, wo ja ein Großteil der deutschsprachigen Managementbuchverlage verlegt werden. Damals erschienen gerade die ersten Bücher über Wissensmanagement und ich fand das sehr inspirierend und motivierend. Deshalb habe ich mich anfangs als Freelancer für Wissensmanagement selbständig gemacht.

wortstark: Na, das klingt nach einem wirklich eher neuen Berufsbild. Doch gehen wir gleich mal zur Aufgabestellung über. In der Vorbereitung auf unser Interview fiel mir spontan das Zitat des einstigen Siemens Vorstandsvorsitzenden Karlheinz Kaske ein: „Wenn Siemens wüsste, was Siemens weiß„. Was sind denn Ihrer Meinung nach Gründe dafür, dass in Unternehmen nicht automatisch alles Wissen weiterverbreitet wird und zur Verfügung steht? Schließlich bilden die KollegInnen doch schon durch die Organisationsstruktur thematisch „Gemeinschaften„ und das „Wissen„ ist ja im Unternehmen auch da?

Lembke: Die Gründe, warum Wissensgemeinschaften nicht funktionieren, sind dieselben, warum Teams nicht funktionieren. Es sind meistens schlecht abgrenzbare soziale Konstrukte und eigentlich ist nur klar, dass die Menschen in diesem Konstrukt sich nicht so verhalten wie sie es im Hinblick auf den Wissensaustausch besser tun sollten.

wortstark: Aber Sie sind doch den Gründen hierfür selber empirisch nachgegangen: Was haben Sie herausgefunden?

Lembke: Häufig sehen die Mitarbeiter für sich keinen individuellen Nutzen. Warum sollten sie also Wissen, was sie produzieren, an andere weitergeben oder für andere aufbereiten? Ein zweiter Grund sind Emotionen wie Neid und Gier. Da behält man lieber von vorneherein vieles für sich. Drittens sind die Rahmenbedingungen in einem Unternehmen wichtig, vor allem Vertrauen. Ist kein Vertrauen da, kann man alles andere vergessen. Und schließlich viertens, sind häufig die Kommunikationsfähigkeiten unterentwickelt. Dadurch weiß zum Beispiel keiner, was überhaupt die Ziele sind im Unternehmen. Ohne solche Bezugspunkte sind erfolgreiche Wissensgemeinschaften nicht realisierbar. Darüber hinaus können Führungskräfte nicht moderieren. Da heißt es dann: „Wir machen jetzt ein Brainstorming. Müller. sagen Sie doch mal was!„ Schließlich gibt es in Besprechungen viel zu viele Aussagen, aber viel zu wenige Fragen.

wortstark: Okay, das war nun eine ganz schöne Liste an Gründen, warum Wissensgemeinschaften nicht ganz von selbst und in jedem Unternehmen funktionieren. Die Medien im Unternehmen kamen ja interessanterweise bei Ihrer Aufzählung nicht vor. Spielen Sie bei Wissensgemeinschaften keine große Rolle?

Lembke: Doch! Ohne geht es nicht. Aber hier passieren die Dinge oft in der falschen Reihenfolge. Ich habe inzwischen über 200 Projekte begleitet und meistens gab es zwei Phasen: In der ersten Phase wird mit einem Rieseninvestment neue IT gekauft. Und dann wird sie nicht genutzt. Dann kommt Phase 2, wo das Management versucht, durch extrinsische Motivation für eine stärkere Nutzung zu sorgen, nach dem Motto: „Schreib doch da mal was rein, wenn Du was weißt„. Und das führt zu noch mehr Abwehr.

wortstark: Wie sieht stattdessen Ihre Lösung aus?

Lembke: Das Management soll zuerst die Motivation schaffen, indem es die Leute an Entscheidungen beteiligt und dann nach der passenden Plattform suchen, die zu genau diesen Rahmenbedingungen passt.

wortstark: . was ja wieder eine gute Unternehmenskommunikation voraussetzt.

Lembke: Um sich die ganze Diskussion und Abstimmung zu sparen, gibt es ja auch Versuche, auf technologische Weise die Komplexität von Wissen zu reduzieren und automatische Ablagesysteme einzusetzen. Ich hatte neulich einen Fall, die haben 50.000 Euro in einen Router für den Server investiert und dann haben sie das System nicht nutzen können, weil die Fehlerquote bei über 10% lag und wichtige E-Mails eben doch hängen geblieben gewesen waren. Sowas bringt also nichts.

Buch

wortstark: Kommen wir doch mal zu etwas Positivem: Auf Ihrem Buch über Wissensgemeinschaften haben Sie die Innenansicht eines Nautilus abgebildet, also einer Meeresschnecke mit ihren immer kleiner werdenden Kammern, die sich spiralförmig aneinanderreihen: Wie kamen Sie auf dieses Bild? Inwieweit passt es zu Ihrem Wissensbegriff?

Lembke: Auslöser war ein eigenes Projekt für das Wirtschaftsministeriums in Berlin. Da haben wir ein Rahmenkonzept für Wissensgemeinschaften entwickelt und als eine Spirale skizziert und darin befanden sich die Konzeptbausteine. Das hat mir gefallen, und ein Buch mit so einem Titelbild sticht auch im Buchhandel gut ins Auge.

wortstark: Bleiben wir doch gleich mal in der Praxis: Wenn ein Unternehmen eine Wissensgemeinschaft aufbauen will, welche Rolle und welche Aufgaben bekommt die institutionalisierte Unternehmenskommunikation?

Lembke: Da könnten Sie genauso fragen: Welche Rolle bekommt die Logistik?

wortstark:
Ja, könnte ich auch fragen. Jetzt frage ich aber nach der Unternehmenskommunikation, weil mein Newsletter sich an Kommunikationsprofis richtet. Außerdem sehe ich aus meinem bisherigen Weg heraus eine große Nähe zwischen Kommunikation und Wissen im Unternehmen. Sehen Sie das anders?

Lembke: Moment – die Kommunikationsleute müssten zwar viel damit zu tun haben, da sind wir uns einig. Aber in der Praxis werden Wissensgemeinschaften meistens von Abteilungen initiiert, wo Profit gemacht wird, wo zum Beispiel ein neues Produkt entwickelt wird. Der Aufbau von Wissensgemeinschaften wird von der IT-Abteilung vorangetrieben und von der Personalentwicklung betreut. Das ist die Realität!

wortstark: Dann ist ja hier noch einiges Potenzial drin für die Unternehmenskommunikation. Was sind nach Ihrer Erfahrung die größten Stolpersteine beim Aufbau von Wissensgemeinschaften in Unternehmen?

Lembke: Das häufigste ist, was ich oben schon angesprochen habe: Zuerst ist die Lösung da in Form von IT und dann das Problem in Form der mangelnden Mediennutzung. In dieser Reihenfolge funktioniert es nicht.

wortstark: Gibt es Persönlichkeitstypen oder Unternehmenstypen, die sich für Wissensgemeinschaften einfach nicht eignen? Können Sie Beispiele nennen?

Lembke: Es gibt jedenfalls durchaus Unternehmen ohne Wissensgemeinschaften, die trotzdem betriebswirtschaftlich erfolgreich sind, zum Beispiel der Telekom-Abkömmling Heyde oder InfraServ, eine Sanofi-Aventis-Tochter. Und bei den Persönlichkeitstypen ist es sowohl der extrem Introvertierte, der kein Wort rausbringt, dadurch auch selbst nichts bekommt, und dann erst recht nichts mehr sagt. Genauso ungeeignet ist der extrem Extrovertierte, der sehr früh seine Expertise gibt, alle einschüchtert und dann ebenfalls nichts zurückbekommt. Da haben Wissensgemeinschaften keine Basis.

wortstark: Nach den Chancen gefragt: Was hat ein Unternehmen konkret von Wissensgemeinschaften?

Lembke: Die Vorteile sind empirisch belegt und münden allesamt in mehr Effizienz! Leistungsfähigkeit und Wertschöpfung sind wesentlich höher als in der klassischen Linie. Das liegt einfach daran, dass selbstorganisierende Systeme auf viel mehr Motivation aufbauen können und dann kommt auch deutlich mehr dabei heraus.

wortstark: Wenn ich mal an die vielen selbstorganisierenden Systeme in Form von Netzwerken unter Freelancern denke, habe ich aber oft nicht das Gefühl von Effizienz, oder jedenfalls nur vorübergehend.

Lembke: Ich meine keine „Quatschbuden„, sondern da muss schon mit einer gewissen Disziplin moderiert werden. Aber Netzwerke sind nach meiner Definition tatsächlich Wissensgemeinschaften. Dazu müssen sie nicht extra so heißen.

wortstark: Und was müssen sie beachten, damit sie keine „Quatschbuden„ werden, mal abgesehen von der disziplinierten Moderation?

Lembke: Die Mitglieder müssen wirklich ein hohes gegenseitiges Interesse am Austausch haben, so wie es zum Beispiel bei vielen Wissensgemeinschaften in Forschung und Entwicklung ist oder bei Händlernetzwerken. Und sie müssen regelmäßig zusammenkommen.

wortstark: Aha, danke. Zum Abschluss eine offene Frage: Was ist Ihnen zu Ihrem Thema wichtig, worüber wir bisher nicht gesprochen haben?

Lembke: Ich möchte allen Initiatoren von Netzwerken oder Wissensgemeinschaften den Tipp geben, sich vor der Gründung damit zu beschäftigen, wie Menschen zusammenarbeiten. Die meisten bräuchten dringend zuerst ein „Empathietraining„, um zu lernen, miteinander umzugehen. Alle meinen, dass sie das nicht bräuchten und dann wundern sie sich, dass Wissen nicht gegeben wird.

wortstark: Was passiert in so einem Empathietraining?

Lembke: Man lernt, wie Interaktion funktioniert. Man lernt, dass man in Wissensgemeinschaften nicht aufrechnet: Wenn der andere mir einmal etwas gegeben hat, bekommt er auch etwas. Wenn ich ihm etwas gebe, und er gibt nichts zurück, bekommt er nie wieder etwas. Dabei kommt es eben manchmal vor, dass man zweimal geben muss, bevor man erstmals etwas zurückkommt. Und außerdem lernt man dort, andere ausreden zu lassen. Das ist sehr wichtig! Wer nicht zuhört, wird niemals etwas bekommen können.

wortstark: Stimmt. Es freut mich jetzt, dass Sie den Bogen zur Unternehmenskommunikation am Schluss doch wieder gezogen haben. Und ich habe Ihnen gern zugehört und einiges mitgenommen. Vielen Dank für das Gespräch!

Gerald FlembkeSie erreichen Dr. Gerald Lembke unter Gerald.Lembke@LearnAct.de oder unter Tel. 0611 – 205 64 22. Website: www.learnact.de

Übrigens: Interessante und aktuelle Methoden, Tipps und Tools rund um den Bereich für Personal- und Organisationsentwicklung erhalten Sie unter www.hr-in-aktion.com.

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